Mit einem Feuerwerk über der Hauptstadt Riga ist in Lettland in der Nacht auf gestern der Euro eingeführt worden. Doch über die Lichterpracht am Nachthimmel haben sich die meisten Letten nicht sonderlich gefreut. Sie begegnen ihrer neuen Währung mit großer Skepsis. Mit der Ankunft Lettlands in der Euro-Zone hat der nach seinem überraschenden Rücktritt nach einem verheerenden Supermarkteinsturz im November nur noch geschäftsführende Ministerpräsident Valdis Dombrovskis eines seiner größten politischen Ziele erreicht. In der Bevölkerung ist einer Umfrage vom Dezember zufolge jedoch nur jeder Fünfte für den Beitritt zur Währungsunion.

Die Versprechen, eine Mitgliedschaft erleichtere den Handel in der Euro-Zone und steigere das Vertrauen großer Investoren, beeindrucken seine Landsleute kaum. Die Lebenswirklichkeit vieler Einwohner hat mit dem internationalen Handel nämlich ohnehin kaum etwas zu tun.

"Ich bin nicht wirklich optimistisch", sagt Viesturs Zarins, Vizebürgermeister in der Kleinstadt Valka unmittelbar an der Grenze zu Estland und spielt auf die sehr hohe Arbeitslosigkeit in Lettland - derzeit zwölf Prozent - an. "Das ist unser größtes Problem. Und ich kann nicht erkennen, was der Euro für eine Lösung dieses Problems bringen soll."

Auch Laura Cera, eine 23-jährige Mutter zweier kleiner Kinder sieht das so: "Arbeitsplätze? Ich glaube nicht, dass sich daran mit dem Euro etwas ändert." Sie würde lieber ihre alten Lats behalten, die neuen Euro-Banknoten gefallen ihr nicht.

Hinzu kommt noch die Angst, dass mit dem Euro alles teurer wird. In vielen Läden sind die Waren bereits in Lats und Euro ausgezeichnet. Wegen des festgelegten Umtauschkurses sieht der Betrag in Euro höher aus. Das schürt Ängste.

In Kirvi, einem Ort nordöstlich von Riga, führt Leonarda Timofejeva noch ein Leben wie aus einer anderen Zeit. Ihr Wasser schöpft sie aus einem Brunnen im Garten. Jeden Morgen marschiert die 56-Jährige drei Kilometer über einen schlammigen Weg zu ihrer Arbeitsstelle - einem Friedhof, auf dem sie die Gräber pflegt. 200 Lats verdient sie damit im Monat, umgerechnet etwa 285 Euro.

"Jeder geht davon aus, dass die Preise mit dem Euro steigen werden", erzählt Timofejeva. Sie sehe schon jetzt den Preis für einen Liter Milch, den sie bisher noch in Lats zahlte, in Euro auf der Packung prangen.

Ein anderes Problem ist die Lage Lettlands wie des gesamten Baltikums. Eingezwängt zwischen Polen und der russischen Exklave Kaliningrad im Westen und dem riesigen Russland im Osten ist es in den Augen vieler Skeptiker auch eine Spielwiese für Oligarchen. Die Hälfte der Bankeinlagen geht auf deren Konto - was zum Problem für die Banken werden könnte. Hinzu kommt, dass Lettland das ärmste Land ist, das den Euro eingeführt hat. Allerdings ist es auch eine Stimme finanz- und haushaltspolitischer Disziplin, wie zum Beispiel bei der Europäischen Zentralbank betont wird.

Für die politische Elite des Landes, die den langen Arm Moskaus beinahe täglich spürt, ist der Euro noch viel mehr als nur eine neue Währung, von deren Stabilität sie sich mehr Wohlstand erhofft. Für Lettlands Außenminister Edgars Rinkevics ist die Sache klar: "Der Euro ist eine weitere Versicherung gegen die Risiken, die unsere doch sehr wechselhaften Beziehungen zu Russland mit sich bringen."

"Die sowjetische Vergangenheit spielt eine Schlüsselrolle für den ungezügelten Euro-Enthusiasmus der baltischen Regierungen", erklärt auch der Analyst Witold Orlowski. "Die baltischen Staaten tun daher alles, um sich so weit weg wie möglich vom Nachfolger der einstigen Sowjetunion weg und so nah wie möglich am Zentrum der EU zu positionieren." Die Mitgliedschaft im Euro-Klub ist ein weiterer großer Schritt Lettlands in Richtung Westen.

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