Nach mehr als zehn Jahren im Gefängnis soll der Kreml-Kritiker und frühere Oligarch Michail Chodorkowski begnadigt werden. "Ich glaube, wir können diese Entscheidung treffen und sehr bald das Dekret für die Begnadigung unterzeichnen", sagte der russische Staatschef Wladimir Putin am Donnerstag laut Staatsfernsehen.

"Ernsthafte Bestrafung"

Die deutsche Bundesregierung begrüßte die Ankündigung. Menschenrechtler hofften, der Schritt sei mehr als nur ein "taktisches Einlenken" Putins. Chodorkowski habe kürzlich ein Gnadengesuch gestellt, erstmals seit Beginn seiner Festnahme vor zehn Jahren, sagte Putin. Dabei habe er humanitäre Gründe geltend gemacht, da seine Mutter erkrankt sei. "Er sitzt seit zehn Jahren in Haft, das ist eine ernsthafte Bestrafung", betonte Putin. Chodorkowskis Anwälte gaben hingegen an, keine Kenntnis von dem Gnadengesuch zu haben. Die Mutter des Häftlings sagte der Nachrichtenagentur Interfax, auch sie wissen nichts davon. Chodorkowski hatte es bisher immer abgelehnt, um Begnadigung zu bitten, weil er ein Schuldeingeständnis vermeiden wollte.

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) begrüßte die angekündigte Begnadigung als "eine gute Entscheidung". "Wir wünschen uns, dass Michail Chodorkowski möglichst bald auf freien Fuß kommt", erklärte Steinmeier in Warschau. Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International reagierte erleichtert auf die überraschende Nachricht aus Moskau. Es sei zu hoffen, "dass das alles nicht nur ein taktisches Einlenken vor den Olympischen Spielen in Sotschi ist", erklärte die Generalsekretärin von Amnesty in Deutschland, Selmin Caliska. EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) sprach ebenfalls von einem "vernünftigen Schritt". Er hoffe, dass Putin weitere Begnadigungen aussprechen werde, "um damit auch klarzumachen, dass politische Justiz nicht haltbar ist auf Dauer", wenn Moskau den Anspruch erhebe, ein Rechtsstaat zu sein. Auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck begrüßte die Aussicht auf eine Begnadigung Chodorkowskis. Russland sei von einem Rechtsstaat aber noch weit entfernt.

Politisch motiviert

Der frühere Chef des inzwischen zerschlagenen Ölkonzerns Yukos war 2003 festgenommen und zwei Jahre später zusammen mit seinem Geschäftspartner Platon Lebedew wegen Betrugs und Steuerhinterziehung verurteilt worden. Der einst reichste Mann Russlands hatte sich offen zur Opposition bekannt. Der Oligarch setzte sich zudem für den Bau einer von seiner Firma kontrollierten Ölpipeline nach China ein, die den staatlichen Firmen Konkurrenz gemacht hätte. Der Prozess gegen ihn wurde daher international als politisch motiviert kritisiert. In einem weiteren Prozess wegen Betrugs wurden Chodorkowski und Lebedew Ende 2010 noch einmal zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Seitdem wurde das Strafmaß um mehrere Jahre verringert. Normalerweise würde der 50-Jährige im kommenden August freikommen. Ermittler sagten im Dezember, sie prüften mehrere weitere Anklagen gegen Chodorkowski. Putin sagte bei seiner jährlichen Pressekonferenz, er halte ein weiteres Verfahren nicht für wahrscheinlich.

Sollte Chodorkowski tatsächlich freikommen, ist es unklar, welchen Einfluss er auf die Politik ausüben würde, da sich die Opposition inzwischen hinter einer neuen Generation von Führern versammelt hat. Nach zehn Jahren in Haft gilt Chodorkowski zudem als finanziell ruiniert. Bereits am Mittwoch hatte die russische Duma ein vom Kreml eingebrachtes Amnestiegesetz verabschiedet, das bis zu 25.000 Häftlingen zugutekommen könnte, darunter auch den Musikerinnen der Punkband Pussy Riot sowie den Aktivisten von Greenpeace.