Der Vizepräsident der Industriellenvereinigung, Hubert Bertsch, fordert, dass die Wahl für ungültig erklärt wird, weil die Regierung der Bevölkerung nicht die Wahrheit gesagt hat. Was sagen Sie zu dem schwerwiegenden Vorwurf?

MICHAEL SPINDELEGGER: Ich lasse mir nicht unterstellen, die Unwahrheit gesagt zu haben. Ich habe im Wahlkampf immer gesagt, wir brauchen Strukturreformen. Mit mir gibt es eine Steuerreform erst, wenn wir uns das leisten können.

Das stimmt, dass Sie so argumentiert haben. Nur geht es hier um etwas anderes, nämlich dass sich im Budget bis zum Jahr 2018 eine milliardengroße Lücke auftut. Warum sagt man das nicht vor der Wahl? Der Unmut der Bevölkerung ist beträchtlich.

SPINDELEGGER: Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Mich hat jemand beim Einkaufen gestern gefragt: "Warum wissen Sie nicht, was uns die nächsten Jahre erwartet?" Ich habe ihm geantwortet: "Wissen Sie, was Sie in zwei Jahren, also 2016, verdienen?" Damit sind wir schon beim Punkt: Kassasturz heißt, ich drehe die Kassa um und schaue, was drinnen ist. Wie Sie wissen, ist in der Kassa alles drinnen. Kein einziger Cent fehlt. Bei der Prognose geht es um die nächsten fünf Jahre. Und diese Prognose hat sich grundlegend geändert.

Das ist genau der Punkt. Warum haben Sie die Prognose nicht vor der Wahl vorgelegt?

SPINDELEGGER: Schauen Sie sich die Prognose an, die das Wifo im Dezember vorgelegt hat. Da ging man von einem Wachstum für 2013 von einem Prozent aus. Ich war es, der darauf gedrängt hat, dass uns das Wifo für die Koalitionsverhandlungen eine Zwischenprognose erstellt. Jetzt spricht das Wifo von 0,4 Prozent. Die Schlussfolgerung, die ich daraus ziehe: Wir sind noch nicht aus der Krise. Wir müssen uns weiter anstrengen. Das ist die bittere Wahrheit. Die Regierung ist der Überbringer der schlechten Botschaft. Mir vorzuwerfen, ich habe betrogen, ist absurd. Ich habe nie gesagt, dass uns in den nächsten fünf Jahren die gebratenen Hendln in den Mund fliegen.

Der Budgetdienst des Parlaments hat aber bereits im April konstatiert, dass der Budgetpfad auf viel zu optimistischen Prognosen fußt.

SPINDELEGGER: Ich will mich schützend vor Maria Fekter stellen. Die Prognosen ändern sich dauernd, die Regierung kann nicht deshalb alle drei Monate den Budgetpfad ändern. Das geht rauf und runter. Unser Hauptproblem ist, dass das Wifo bis 2018 mit Steuereinbußen von 15 Milliarden rechnet. Bei den Pensionen brauchen wir 8,7 Milliarden mehr an Zuschüssen.

Das ist eine bittere Erkenntnis. Nur, warum legt man die Zahlen erst jetzt im November vor, wenn die Wahl geschlagen ist?

SPINDELEGGER: Das Wifo macht diese Prognosen immer im Dezember. Ich habe durchgesetzt, dass wir bereits jetzt eine seriöse Grundlage für die nächsten fünf Jahre haben.

Letzten Freitag ging man noch von einer Lücke von 40 Milliarden aus, jetzt ist man weit davon entfernt. Der Eindruck drängt sich auf, die Regierung arbeite wieder mit geschönten Zahlen.

SPINDELEGGER: Mir ist bewusst, dass es ein Zahlenfriedhof ist. Es gibt ein Maastricht-Defizit, das eine Lücke von 31 Milliarden aufweist, und es gibt ein strukturelles Defizit von 18 Milliarden. Dort müssen wir die Kostentreiber in den Griff bekommen.

Und am Dienstag sind dann 18 Milliarden herausgekommen.

SPINDELEGGER: Ja, weil wir uns auf das strukturelle Defizit konzentrieren. Kürzungen in Höhe von sechs Milliarden haben wir bereits vorweggenommen.

Es glaubt Ihnen doch kein Mensch, dass Sie das nicht in Ansätzen schon im Sommer wussten? Die Leute fühlen sich zu Recht gefrotzelt.

SPINDELEGGER: Sie können mir nicht den Vorwurf machen, dass ich vor der Wahl etwas anderes gesagt habe als jetzt. Habe ich je gesagt, dass die Prognose viel besser ist? Ich lasse mir den Vorwurf nicht gefallen, dass ich die Leute angelogen habe. Ich lüge nicht aus Prinzip.

Wie kommt Österreich jetzt aus dem Schlamassel heraus?

SPINDELEGGER: Wir müssen überall Änderungen vornehmen, bei den Pensionen, dem Bund-Länder-Verhältnis.

Was muss konkret bei den Pensionen gemacht werden, ich denke an das Frauenpensionsalter oder die Invaliditätspension?

SPINDELEGGER: Auf Details will ich nicht eingehen, diese werden gerade verhandelt. Ich kann Ihnen zwei Dinge sagen: Wir müssen das faktische Pensionsalter spürbar hinaufschrauben, am besten durch ein Bonus-Malus-System. Beim gesetzlichen Pensionsantrittsalter gilt der Vertrauensschutz. Wie gesagt: Ich gehe an die Debatte ohne Tabus heran.

An sich sollten die Pensionen und die Beamtengehälter 2014 erhöht werden. Wird beides zurückgenommen, wie man das bei den Familien gemacht hat?

SPINDELEGGER: Wir haben mit den Pensionistenverbänden und dem öffentlichen Dienst eine Vereinbarung getroffen. Pacta sunt servanda. Ich halte mich an diese Vereinbarung.

Worauf müssen sich die Länder gefasst machen?

SPINDELEGGER: Wir brauchen eine Bereinigung der Kompetenzen.

Können Sie ein Beispiel nennen? Was ist mit den Doppelgleisigkeiten in der Schulverwaltung?

SPINDELEGGER: Ich bin bei den Schulen für eine bessere Aufteilung zwischen Bund und Ländern. Man kann das viel effizienter gestalten. Man sollte sich darauf verständigen, dass die Gesetzgebung im Bund bleibt, die Vollziehung erfolgt dann durch die Bildungsdirektion im Land.

Sind Privatisierungen ein Thema?

SPINDELEGGER: Natürlich. Ich stelle mir vor, dass wir eine neue Holding aufbauen, wo alle staatlichen Beteiligungen zusammengefasst sind.

Wird es für diese Legislaturperiode eine Steuerreform geben?

SPINDELEGGER: Derzeit haben wir nicht das Geld. Wenn sich die Konjunktur verbessert, können wir darüber reden.

Wird es neue Steuern geben?

SPINDELEGGER: Ich will keine neuen Steuern. Diese bremsen das Wachstum.

Zu den Lehrern: Stimmt der Eindruck, dass Ihnen beim Dienstrecht langsam der Kragen platzt?

SPINDELEGGER: Wir müssen bei Projekten, die seit Langem auf dem Tisch sind, und bei heißen Eisen zu Entscheidungen kommen. Das Dienstrecht können wir nicht ewig hinausschieben. Wir müssen auch bei den Sonderpensionen etwas tun. Das regt die Leute noch viel mehr auf.

Werden Sie auch gegen den Willen der Lehrer das Dienstrecht beschließen?

SPINDELEGGER: Am Montag machen wir den Lehrern ein neues Angebot. Es kann aber nicht sein, dass wir Verbesserungen vornehmen und dann nicht entscheiden, weil die Gewerkschaft nicht zustimmt. Einmal muss entschieden werden.

Das heißt, dass es nach dem Montag keine weiteren Verhandlungsrunden mehr mit der Lehrergewerkschaft geben wird?

SPINDELEGGER: Verhandlungsrunden gab es schon genug. Das Dienstrecht tritt erst 2019 in Kraft. Es kann mir niemand sagen, das ist jetzt ein Wahnsinn, was auf die Lehrer zukommt. Keiner der jetzigen Lehrer ist davon betroffen.

Zum ORF: Erklären Sie mir, warum die ÖVP im ORF eine rot-schwarze Doppelspitze einsetzen will? Das ist doch schlimmstes Proporzdenken.

SPINDELEGGER: Mein Plan ist es nicht, dass im ORF eine rot-schwarze Doppelspitze eingesetzt wird. Das haben Sie von mir nie gehört.

Ex-Klubobmann Kopf hat die Doppelspitze gefordert.

SPINDELEGGER: Ich habe solche Pläne nie gewälzt. Eine rot-schwarze, proporzmäßig aufgesetzte ORF-Spitze wird es mit mir nicht geben.

Haben Sie angesichts der Budgetprobleme, mit denen sich die neue Regierung herumschlagen muss, überhaupt noch Lust, Finanzminister zu werden?

SPINDELEGGER: Personalia werden zum Schluss entschieden.

In Ihrem Inneren haben Sie sich aber schon entschieden?

SPINDELEGGER: Blicken Sie in mein Innerstes?