Und noch eine Abhörstation mitten in Berlin? Dem "Independent" zufolge haben auch die Briten im Regierungsviertel eine Spionageeinrichtung auf dem Dach. Eine große Überraschung ist das nicht mehr. Die britische Botschaft in der Berliner Wilhelmstraße gehört zu den Gebäuden, an denen sich in der deutschen Hauptstadt die Geister scheiden.

Zweite Spionageeinrichtung?

Ein futuristischer Bau von der Jahrtausendwende, mit zwei poppigen Baukörpern in hellblau und lila, die nach draußen ragen. Die zweigeschossige Öffnung an der Straßenseite soll symbolisch für Offenheit stehen, für einen "Einblick in die Botschaft".

Auch zwölfeinhalb Jahre, nachdem Queen Elizabeth II. das Gebäude eröffnet hat, haben sich die Berliner noch nicht so richtig an das Werk von Architekt Michael Wilford gewöhnt. Jetzt gibt es noch einen zusätzlichen Aufreger: ein zeltähnlicher Aufbau, der sich oben auf dem Dach von Her Majesty's Embassy befindet - und in den der Einblick nicht erwünscht zu sein scheint.

Nach einem Bericht der Tageszeitung "The Independent" soll es sich dabei um einen Horchposten der britischen Geheimdienste handeln. Nach dem vermeintlichen "Nest" auf dem Dach der US-Botschaft wäre das dann schon die zweite Spionageeinrichtung, die innerhalb von wenigen Tagen mitten im deutschen Regierungsviertel enttarnt wird. Auch dieses Mal gehen die Informationen auf Dokumente zurück, die der amerikanische Ex-Geheimdienstler Edward Snowden beiseitegeschafft hat.

Angelegenheit wird totgeschwiegen

Dem "Independent" zufolge befindet sich die merkwürdige Struktur schon seit der Eröffnung der Botschaft im Jahr 2000 auf dem Dach. Sie sehe anderen Abhörstationen des britischen Geheimdiensts GCHQ "frappierend ähnlich". Und tatsächlich ähnelt das Konstrukt auch dem Horchposten, mit dem Briten und Amerikaner bis zum Fall der Mauer im November 1989 auf dem Berliner Teufelsberg die Kommunikation in Ostberlin belauschten.

In Großbritannien wird die Angelegenheit nach außen hin totgeschwiegen. Dem Nachrichtensender BBC News war die Angelegenheit am Dienstag keine Sendeminute wert. Offiziell gibt es von britischer Seite dazu keinen Kommentar. Großbritanniens Botschafter Simon McDonald - im Amt seit Oktober 2010 - ließ über einen Sprecher lediglich ausrichten: "Wir können zu geheimdienstlichen Aktivitäten keine Auskunft geben." Einige werten das schon als halbes Eingeständnis, dass auf dem Dach tatsächlich Geheimdienstler aktiv sind.

Ein großes Wunder ist das nicht. Spätestens Snowdens Papiere, im Detail im "Guardian" und anderen Medien veröffentlicht, haben das Ausmaß britischer Spionage in Europa umrissen. Großbritannien zapft von seinem Horchposten auf Zypern in großem Stil Unterseekabel zwischen Europa und Nahost an. In Italien, wo ebenfalls große Unterseekabel aus Nordafrika ankommen, betreibt London politische und - laut Snowden - auch Wirtschaftsspionage. Warum sollte also ausgerechnet Deutschland mit seiner Führungsrolle in der in London ungeliebten EU ausgespart bleiben?

Keine wirkliche Überraschung

Auch für die deutsche Regierung bedeuten die Berichte über die Bespitzelung durch einen weiteren engen Partner nicht wirklich eine Überraschung. Zusammen mit Australien, Kanada und Neuseeland kooperieren die USA und Großbritannien im "Five Eyes"-Verbund zum Austausch geheimer Informationen. Nach Angaben des Verfassungsschutzes ist auch die britische Botschaft bereits seit Bekanntwerden der NSA-Affäre im Juli verstärkt im Visier der deutschen Spionageabwehr.

Interessanter dürfte die politische Reaktion werden. Das persönliche Verhältnis zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Großbritanniens Premierminister David Cameron galt bisher als ausgezeichnet. Die passende Chemie zwischen beiden soll schon über manches inhaltliche Problem mit dem EU-Rebellen Großbritannien hinweggeholfen haben, berichten Diplomaten. Doch in Brüssel wächst nicht zuletzt wegen der britischen Spionage gegen sogenannte "Freunde" der Groll.