Ist das endgültig die "rote Linie", vor der US-Präsident Obama das syrische Regime gewarnt hat? Washington hält sich auch nach neuen Berichten über Giftgaseinsätze zurück. Ganz anders Russland, das von Provokation spricht. Die UN-Vetomächte sind mal wieder uneins.

Keine gemeinsame Linie in Sicht

Die grauenvollen Bilder mit Hunderten Toten in Syrien setzen die UN-Vetomächte unter Zugzwang - und sorgen für hitzige Debatten. Wer ist schuld am Tod so vieler Menschen, darunter auch zahlreicher Kinder? Russland und die USA sind einmal mehr uneins. Dabei ringen sie seit langem um einen Ausweg aus dem quälenden Syrien-Dilemma. Ranghohe Diplomaten aus Washington und Moskau wollen sich Mittwoch nächster Woche in Den Haag treffen, um eine lange geplante Friedenskonferenz voranzutreiben. Die Zeit drängt - doch eine gemeinsame Linie ist nicht in Sicht.

Russland spricht nach den neuen Berichten über einen angeblichen Giftgaseinsatz von "Provokation". Die lauten Vorwürfe der Opposition an das Regime wirkten wie ein Versuch, den Weltsicherheitsrat auf ihre Seite zu ziehen und die Friedensbemühungen zu unterminieren, kritisierte Außenamtssprecher Alexander Lukaschewitsch in Moskau. Dann bringt er schweres Geschütz in Stellung: Das Giftgas sei aus einem Gebiet abgefeuert worden, das "Terroristen" besetzt hielten. Damit meint Moskau bewaffnete Gegner des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad.

Moskau zeigt sich damit einmal mehr als enger Partner Assads. Schon mehrfach hat die UN-Vetomacht Resolutionen gegen Damaskus verhindert. Stattdessen fordert Moskau, die Syrer müssten den Konflikt alleine lösen. Und klopft sich zugleich auf die Schulter, als einziger Akteur mit allen Seiten zu reden. In der Tat geben sich Emissäre des syrischen Regimes und verschiedener Oppositionsgruppen in der russischen Hauptstadt die Klinke in die Hand. Aber Experten kritisieren, dass Russland weder konkrete Schritte noch Bereitschaft zu Kompromissen erkennen lasse.

Nach Ansicht von Kommentatoren fürchtet Moskau, mit Assad seinen letzten Partner im hochsensiblen und strategisch wichtigen Nahen Osten zu verlieren. Im syrischen Hafen Tartus unterhält Russland eine Marinebasis. Stets warnt der Kreml, westliche Waffenlieferungen an die Rebellen kämen allein Terroristen mit Verbindungen zu Al-Kaida zugute. Die eigenen Rüstungsexporte an Damaskus verteidigt Moskau mit Hinweis auf alte Verträge, die einzuhalten seien.

Die aktuelle Entwicklung setzt Russland nach Ansicht von Kommentatoren immer weniger unter Druck, seine Position zu ändern. Nicht nur hat sich in Syrien das Kriegsglück zugunsten der Regierungstruppen gewendet. Auch deshalb könne Assad unmöglich Giftgaseinsätze befohlen haben, meinen kremlnahe Politologen.

Selbst US-Geheimdienstkreise betonen, immer mehr radikale Islamisten etwa aus dem russischen Konfliktgebiet Nordkaukasus kämpften in Syrien gegen Assad. Sie sollen an brutalen Verbrechen beteiligt sein - auch diesmal, so der Vorwurf aus Moskau. "Die Opposition klammert sich an die Worte von US-Präsident Barack Obama, dass Chemiewaffeneinsätze eine "rote Linie" für ihn sind", sagt der russische Verteidigungsexperte Fjodor Lukjanow.

Wo ist die "Rote Linie"?

In der Tat gerät das Weiße Haus - außenpolitisch ohnehin unter Druck - nun in Zugzwang. Sprecher Josh Earnest klingt verbittert, als er am zum x-ten Mal sagen muss: "Wir haben bisher nicht unser ultimatives Ziel erreicht, Bashar al-Assad zu stürzen." Kritiker vor allem im Kongress meinen, dass Obama es auch gar nicht wirklich versuche.

Vor einem Jahr hatte der Präsident seine "rote Linie" - im Falle eines Einsatzes tödlicher Giftgase durch das syrische Regime - gezogen und dabei mehr als deutlich mit einem Militäreinsatz gedroht. Zehn Monate dauerte es, bis er Ernst machte und begrenzte Waffenlieferungen an die Rebellen genehmigte. Aber diese Zusammenarbeit nützt nur einem Teil der Assad-Gegner. Das große Problem auch im dritten Jahr des Konflikts ist es, die "moderaten" unter den Regimegegnern zu identifizieren.

In Syrien gehe es "heute nicht darum, zwischen zwei Seiten zu wählen, sondern eine von vielen Seiten auszuwählen", schrieb US-Generalstabschef Martin Dempsey an den Kongress. Und dabei will Washington keine Fehler machen. Zu groß ist die Angst, dass US-Raketenwerfer in den Händen von Terroristen landen. Außerdem herrschen offenbar Zweifel, dass die Rebellen nach einem Erfolg überhaupt weiter zu den USA stehen würden. "Ich glaube, dass die Seite, die wir wählen, bereit sein muss, ihre und unsere Interessen zu vertreten. Heute ist sie es nicht", meinte Dempsey.