Drogen-Razzia in der größten Justizanstalt der Republik in Wien-Josefstadt, vier Missbrauchsfälle an Jugendlichen in Gefängnissen allein im heurigen Jahr, ein vernichtender Expertenbericht über die allgemeinen Zustände im Strafvollzug - garniert mit Rücktrittsaufforderungen an die Adresse von VP-Justizministerin Beatrix Karl: Die Schlagzeilen der letzten Tage sind eine mehr als missglückte Bewährungsprobe für die heimischen Justizanstalten.

Die anfangs von Karl verfolgte beschwichtigende "Einzelfall"-Theorie zerbröselte recht schnell. Neben einem Vorfall in der niederösterreichischen Vollzugsanstalt Gerasdorf (ein 16-Jähriger wurde von einem 17-Jährigen in einem Freizeitraum mit einem Besen vergewaltigt) soll es demnach auch in den Jugendabteilungen der Gefängnisse in Graz und Linz zu Missbrauchsfällen gekommen sein, wie Peter Prechtl, Leiter der Vollzugsdirektion, bestätigt.

Recht des Stärkeren

Dazu kommt eine Dunkelziffer an Fällen, die einem ungeschriebenen Ehrenkodex unter den Häftlingen geschuldet ist. In der Subkultur hinter Gittern gilt das Recht des Stärkeren, bei dem Einschüchterungen die Paragrafen ersetzen. So hat jener 17-Jährige, der im Frühjahr von einem gleichaltrigen Zellengenossen in Graz sexuell missbraucht wurde, laut Staatsanwaltschaft bei seiner Vernehmung erklärt, die Handlungen seien in gegenseitigem Einverständnis und freiwillig passiert.

Zusätzlichen Zündstoff liefert eine Studie, die das Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte und die Opferschutzorganisation "Weisser Ring" verfasst und dem Justizministerium bereits im Jänner vorgelegt haben. "Gewalt gehört zum Haftalltag", fasst Studienautorin Barbara Unterlerchner zusammen. Sie verweist auf mangelhafte Ressourcen bei Personal und Infrastruktur, was beispielsweise in der Josefstadt dazu geführt haben soll, dass Jugendliche bis zu 22 Stunden täglich in Vier-Personen-Zellen eingesperrt sind. Unterlerchners Schluss: "Es war schon einmal besser." - Justizministerin Karl hatte noch Ende Juni versichert, der Jugendstrafvollzug sei aktuell "so gut wie nie zuvor".

Höhere Selbstmordrate

Eine These, die die Angriffsmaschinen von Häftlingsbetreuern und politischen Gegner in den letzten Tagen heiß laufen ließ. Im Visier der Kritiker: vor allem die Untersuchungshaft für Jugendliche. Sie gilt zwar offiziell nicht als Strafe, sondern als sichernde Maßnahme gegen Flucht-, Verdunkelungs- und Tatwiederholungsgefahr, wird von Experten wie Susanne Pekler, Leiterin der Bewährungshilfeorganisation "Neustart" in der Steiermark, aber im Fall von Jugendlichen abgelehnt. Als Alternative sei eine vorläufige Bewährungshilfe beziehungsweise eine Fußfessel zu bevorzugen.

Allgemein führt der emotionale Ausnahmezustand in der U-Haft bei Häftlingen aller Altersstufen zu einer höheren Suizidrate als unter normalen Häftlingen. Genaue Zahlen gibt es nicht, aber zumindest eine Annäherung: Schon die Selbstmordrate unter normalen Häftlingen ist höher als jene in der übrigen Bevölkerung - letztere liegt bei 15 Fällen pro 100.000 Personen.

"Eine Haft schadet"

Zukünftig sollen nach der Festnahme und Überstellung von Jugendlichen in eine Justizanstalt unverzüglich Vertreter der Jugendgerichtshilfe oder der Kinder- und Jugendanwaltschaft beigezogen werden. Das ist ein erster Punkt eines Maßnahmenkatalogs, den eine "Task Force" im Justizministerium über den Sommer erarbeiten soll.

Für Häftlingsbetreuerinnen wie Unterlerchner und Pekler bleibt klar: "Eine Haft schadet mehr, als sie hilft." Die Rückfallquote unter Jugendlichen soll bei 70 Prozent liegen. Andere kommen im normalen Leben in Freiheit nicht zurecht. So betreut "Neustart" unter anderem Menschen, die 30 Jahre in Haft waren. "Die kennen keinen Bankomaten, keinen Euro und wissen nicht, dass man bei der Straßenbahn drücken muss, damit die Tür aufgeht", erzählt eine Betreuerin.