Das Lexikon definiert den Elchtest als ein Fahrmanöver, das das Ausweichen von einem plötzlich auf die Straße tretenden Elch simuliert. Mit diesem Test wird die Fahrstabilität von Pkw geprüft. Und unsere Kicker müssen heute Abend beim WM-Qualifikationsspiel gegen Schweden auch eine Art Test gegen elf zweibeinige "Elche" bestehen.

Doch in Schweden selbst steht mittlerweile viel mehr auf dem Spiel als der Bau sicherer Autos oder sportliche Erfolge. Auf dem Prüfstand steht jetzt das viel gepriesene "schwedische Modell", der politisch und wirtschaftlich vorbildliche, perfekt funktionierende Sozialstaat. Die idyllische Bullerbü-Fassade hat Risse bekommen, seit die Schweden nächtelange Krawalle in ihren Städten miterleben mussten, die eher an triste Banlieues in Frankreich erinnern, als an das nette schwedische "Volksheim".

Der damalige sozialdemokratische Parteichef Per Albin Hansson hat den Begriff Volksheim (Folkhemmet) in den 1920er-Jahren als Metapher für eine politische Vision entwickelt. "Im guten Heim", so Hansson, "gibt es keine Privilegierten oder Benachteiligten, keine Hätschelkinder und keine Stiefkinder. Dort sieht nicht der eine auf den anderen herab." Seine Nachfolger Tage Erlander und Olof Palme haben das schwedische "Volksheim" zum Wohlfahrtsstaat ausgebaut, der im Ausland oft kopiert, aber auch als zwangsbeglückende Wohlfahrtsdiktatur kritisiert wurde.

Doch die meisten Schweden sind nach wie vor überzeugt, im besten Land der Welt zu leben. Aber was viele von ihnen lange verdrängt haben: Vorstädte wie Husby in Stockholm und Rosengard in Malmö, in den letzten Wochen die Brennpunkte der Unruhen, sind seit Langem ein Synonym für soziale Ausgrenzung. In Husby etwa waren in den frühen 1970er-Jahren Sozialwohnblöcke errichtet worden. Mittlerweile haben dort 80 Prozent der 12.000 Einwohner einen Migrationshintergrund. Dort zu wohnen und nicht Svensson, sondern Özgür zu heißen, ist keine Empfehlung auf dem Arbeitsmarkt.

Bilanz umgekehrt

Sind die Einkommen in Schweden auch gleicher verteilt als in fast allen anderen Industriestaaten, kehrt sich die Bilanz bei der Vermögensverteilung ins Gegenteil um: Das reichste Fünftel der Bevölkerung besitzt drei Viertel des Vermögens. Dies wirkt sich drastisch auf dem Immobilienmarkt aus. Leistbar für Einwanderer und andere Finanzschwache sind nur noch Wohnungen am Rand der Städte. Auch ist unter der derzeitigen bürgerlichen Regierung von Fredrik Reinfeldt das Königreich sozial kälter geworden. Plötzlich gibt es wieder Armut und die Jugendarbeitslosigkeit in Ausländer-Gettos wie Husby liegt trotz florierender Wirtschaft bei 40 Prozent.

Seit Jahrzehnten ist Schweden stolz auf seine sehr liberale - manche sagen zu liberale - Zuwanderungspolitik. Die Asylregeln sind humaner als anderswo, die Grenzen grundsätzlich offen für alle, die arbeiten wollen. Doch alle Versuche, die Zuwanderer auf das ganze Land zu verteilen, scheitern - vor allem am Widerstand der Kommunen. Die Integration misslingt trotz ehrgeiziger Sprach- und Schulungsprogramme. Dass die Regierung all jene, die Arbeit haben, mit Steuersenkungen belohnte, dafür aber Sozialprogramme drastisch zusammenstrich, verstärkt das Auseinanderklaffen in der Gesellschaft zwischen "ethnischen" und zugewanderten Schweden.

Die Schweden fühlen sich - geografisch nachvollziehbar - als Inselvolk. Vielleicht haben sie deshalb weniger Bedürfnis nach Nähe und Austausch. Man will sich niemandem aufdrängen, wahrt Distanz. Doch dies führt zu einer gewissen Kontaktarmut außerhalb des gewohnten Kreises.

Wohl auch deshalb ist der Elchtest in Sachen Integration in Schweden noch viel gründlicher danebengegangen als etwa in Österreich. Umso mehr gilt es jetzt, ein neues Modell zu entwickeln und für die verbitterten Neu-Schweden Platz zu schaffen im "Volksheim". Viel Zeit zum Testen hat man angesichts der explosiven Lage am Rand der größeren Städte aber nicht.