Sie saßen als deutscher Finanzminister in den 1990ern bei den Weichenstellungen für den Euro an den Schalthebeln. Wenn Sie sich die Gemeinschaftswährung heute ansehen, denken Sie nicht manchmal: ,Wir haben damals was falsch gemacht'?

THEO WAIGEL: Bei der Erzeugung und der Geburt des Euro waren die Dinge in Ordnung. Was nicht geklappt hat, war die Erziehung - und das war nach meiner Zeit, darauf lege ich größten Wert! Wenn man die Regeln ändert, sich selber nicht dran hält, darf man sich nicht wundern, dass Vertrauen verloren geht. Es war falsch ein Land, das für die Währungsunion ungeeignet war, wie Griechenland, aufzunehmen. Die griechische Regierung hat bekanntlich mit falschen Zahlen hantiert, die EU zu wenig kontrolliert. Und dann kam noch eine Finanzkrise über uns, wie wir sie seit 70 Jahren nicht erlebt haben.

Als man Grundlagen für den Euro und Kontrollmechanismen festlegte, war man da naiv?

WAIGEL: Weder noch - die Maastrichtkriterien, der Stabilitätspakt, Kooperationsmöglichkeiten zwischen den Staaten waren gut aufgesetzt. Bis 1998 ist richtig kontrolliert worden. Von 1992 bis 1998 haben sich alle Staaten angestrengt. Wenn sich dann aber die wichtigsten Länder nicht an die Regeln halten . . .

Deutschland zu allererst . . .

WAIGEL: . . . nicht zu allererst, aber der schwerwiegendste Verstoß, ja, der kam von Deutschland, das sich dann bockbeinig gestellt und mit Frankreich die Regeln verändert hat. Das war eine Todsünde.

Nach dem Sündenfall erleben wir jetzt eine handfeste Eurokrise Ist der Euro in Gefahr?

WAIGEL: Wir tun ja so, als hätte es früher keine Probleme gegeben. Man hat immer versucht, Währungen gegeneinander zu stabilisieren. An einem einzigen Tag hat die Deutsche Bundesbank im Juni 1993 47 Milliarden D-Mark in die Hand genommen, um den französischen Franc zu stützen. Heute haben wir keine einfache, aber eine bewältigbare Situation. Irland ist auf einem guten Weg, Portugal, Spanien haben viel getan. Dass Athen wieder Tausende Staatsbeamte entlässt, ist weiß Gott mutig. Man muss sich vorstellen, was da bei uns los wäre.

Staatsmänner aus dem Süden warnen, die EU spare Europa kaputt. Sehen Sie diese Gefahr?

WAIGEL: An der Konsolidierung führt kein Weg vorbei. Ein Perpetuum mobile der Finanzwirtschaft, Schulden durch noch mehr Schulden wegzubringen, gibt's nicht. Aber Sparen allein genügt nicht, es braucht zwingend Strukturreformen. Jede andere Lösung für diese Länder außerhalb des Euros käme teurer.

Kanzlerin Merkel trägt auf Protestplakaten nur noch Hitlerbart. Man gibt Deutschland die Schuld am rigorosen Sparkurs. Zurecht?

WAIGEL: Nein. Die Politiker dieser Länder müssen auch den Mut haben, die eigenen Fehler einzugestehen. Diese Länder haben mit Eintritt in die Eurozone gewaltige Euro-Renditen eingefahren. Diese hätten sie in Produktivität oder die Reduzierung der Staatsschuld stecken müssen. Das muss eben jetzt passieren.

Sind Eurobonds, also gemeinsame Anleihen der Länder mit gemischten, niedrigeren Zinssätzen eine Lösung für das Problem?

WAIGEL: Das wäre fatal, weil sich die Länder sofort von ihren Konsolidierungen und Strukturreformen zurücklehnen würden.

Wie lange dauert die Krise noch, wagen Sie eine Prognose?

WAIGEL: Das kann man nicht sagen. Ich glaube aber, dass wir den größeren Teil der Krise hinter uns haben, weil die Stabilisierungsmaßnahmen Wirkung zeigen. Die Hilfsprogramme für die Länder und die Konsolidierungen der Staaten greifen - mit einigen Ausnahmen. Es braucht noch Reformen, wie in Frankreich, wo Präsident François Hollande begreifen muss, dass er nicht mit dem Kopf durch die Wand kann.

Könnte der Euro mit dem Riesen Frankreich doch noch stürzen?

WAIGEL: Nein, die Franzosen können es schaffen.

Welche Chancen sehen Sie für Angela Merkel bei der Bundestagswahl im Herbst?

WAIGEL: Sie hat eine ungeheure Popularität und daher große Chancen. Ohne CDU/CSU wird es keine Regierung geben. Und ich denke, dass auch die Koalition mit der FPD durchaus realistisch ist.