Herr Voggenhuber, was ist faul im Staate Österreich?

JOHANNES VOGGENHUBER: Dass die Politik die geschriebene Verfassung durch eine Realverfassung ersetzt hat. Die Verfassung verbürgt, dass das Recht vom Volk ausgeht. Die Realverfassung verbürgt, dass alles von den Parteien ausgeht. Wir leben in einem verwahrlosten System ohne Gewaltenteilung.

Wollen Sie mit dem Volksbegehren die Parteienherrschaft brechen?

VOGGENHUBER: Ja, und es geht um den Aufbruch der Zivilgesellschaft für mehr Demokratie. Die Parteien tun nicht nur so, als ob ihnen das Land gehört. Sie betrachten das Einschreiten der Bürger als Ärgernis. So wurden über Jahrzehnte 37 Volksbegehren entsorgt. Die politische Nachkriegsordnung der Alleinherrschaft der Parteien ist an ein Ende gekommen. Schauen sie sich die Bildung, die Gesundheit, Europa an: Jeder Reformansatz versandet in der Blockade. Die Realverfassung ist nicht mehr funktionstüchtig. Zukunftsfragen werden nicht mehr gelöst.

Was ist der Grund für die Entfremdung zwischen Bürger und Politik? Ist es die Globalisierung, der Primat der Ökonomie, die Emanzipation der Bürger?

VOGGENHUBER: Da ist zum einen der EU-Betritt. Österreich muss sich mit Fragen auseinandersetzen, die man sich jahrzehntelang in der Falte des Eisernen Vorhangs erspart hat. Die Globalisierung führt uns schmerzhaft vor Augen, dass der Schutz des europäischen Lebensmodells nationalstaatlich nicht mehr geregelt werden kann.

Hat die Entfremdung nicht auch historische Ursachen?

VOGGENHUBER. Ich verweise auf die uralte Krankengeschichte der Demokratie in Österreich. 1848 erfasst eine bürgerliche und soziale Revolution Europa, Österreich taumelt in den Neoabsolutismus. Die Demokratie wurde uns immer von außen verordnet: 1918 nach dem Zusammenbruch der Monarchie, erst recht 1945. Wenn die Nationalpräsidentin erklärt, das Parlament ist das machtpolitische Zentrum des Landes, ist es die glatte Unwahrheit. Jeder weiß, dass das Parlament nicht aus freien Abgeordneten besteht. Sie sind nur Erfüllungsgehilfen der Parteizentralen. Die Willensbildung im Land schrumpft auf den Kuhhandel zwischen zwei Parteiobleuten, deren Legitimation von Wahl zu Wahl weg bricht.

Was macht Sie sicher, dass Sie den Frust mit dem Volksbegehren kanalisieren können, dass sich der Frust nicht in Wahlenthaltung oder in Stimmen für Stronach oder Strache entlädt?

VOGGENHUBER: Es gab immer schon die Gefahr in diesem Land, dass sich der Frust, die Wut, der Zorn entlädt, aber diffus bleibt. Man kann sich sehr schnell über die Missstände einigen, vom Parteibuch über die Korruption bis hin zur Justiz. Der Protest entlädt sich oft primitiv, meistens in Richtung des rechten Rands mit seiner verbal gewalttätigen Geisteshaltung. Da ertönt der Ruf nach dem starken Mann. Oder ich gehe in den Prater und werfe einen Euro beim Watschenmann hinein, um den da oben so richtig eine reinzuhauen.

Ist das nicht ein europaweites Phänomen?

VOGGENHUBER: Naja, das Aufmucken bei gleichzeitigem Untertanengeist ist schon sehr österreichisch. Es gibt in einer Frage einen Konsens: die Verachtung der Politik. Das ist zutiefst antidemokratisch. Dazu kommt noch ein typisches Argument einer Untertanengesellschaft: Es geht uns ja gut. So schlecht geht es uns nicht. Was sollen wir uns mit denen da oben anlegen? Schauen Sie sich die nestroyanischen Debatte der Frau Fekter über das Bankengeheimnis an. Da werden täglich dreiste Unwahrheiten verbreitet und die Oma ins Spiel gebracht, um Österreich als Schwarzgeldinsel zu retten. Demokratie braucht lange.

Ist der Vorwurf nicht berechtigt, dass sich ältere Herren über Zustände aufregen, die sie selbst herbeigeführt haben?

VOGGENHUBER: Da bin ich der falsche Adressat, weil ich ein Leben lang dafür gekämpft habe. Es ist auch bei den anderen nicht so. Schauen sie sich die Biografien an. Jede Proponent war lange Zeit Dissident in seiner Parteien: Busek, Schmidt, Fischler. Sie haben ihre Überzeugung über den Parteigehorsam gestellt, ihr Gewissen über den Kadavergehorsam. Wenn solche Menschen, mit denen mich jahrelange politische Gegnerschaft verbunden hat, die Lage des Landes so kritisch sehen, verdienen alle Respekt.

Was macht Sie so sicher, dass nicht auch Ihr Volksbegehren entsorgt wird?

VOGGENHUBER: Wenn es entsorgt wird, dann hören Sie wieder von uns. Die Grünbewegung, die übrigens auch von älteren Herrn gegründet wurde, hat es ja auch geschafft. Wir werden nicht locker lassen.