Dienstagmorgen endet in Pekings Großer Halle des Volkes eine Ära: Zum zehnten und letzten Mal wird Premier Wen Jiabao vor Chinas 3000-köpfigem Parlament, dem Nationalen Volkskongress, den Jahresbericht der Regierung verlesen. Es ist die Abschiedsrede der sogenannten "Hu-Wen-Generation" um den farblosen, aber eisernen Staats- und Parteichef Hu Jintao und seinen liberalen, zuletzt jedoch weitgehend isolierten Ministerpräsidenten Wen.

Nachdem die alte Garde im November ihre Parteiposten geräumt hat, werden nun auch die Regierungsämter neu besetzt. Der epochale Machtwechsel, der die Weichen für die nächsten zehn Jahre stellen soll, kommt damit zum Abschluss und verlangt den Kommentatoren der Staatsmedien zum Ende noch einmal einen propagandistischen Spagat ab: Sie müssen den scheidenden Herrschern Lobeshymnen hinterhersingen und sollen zugleich Optimismus schüren, dass die neue Parteispitze Chinas Probleme erfolgreicher anpacken wird.

Mit symbolträchtigen Auftritten versuchen die Neuen, allen voran Hus Nachfolger Xi Jinping, Aufbruchsstimmung zu verbreiten. Seine erste Dienstreise als Chef von Partei und Militär führte den 59-Jährigen nach Shenzhen - eine Hommage an Reformpatriarch Deng Xiaoping, der 20 Jahre zuvor mit einer ähnlichen Tour den Wirtschaftsboom der 1990er angestoßen hatte.

Im Volk gärt es

Zugleich übt sich Xi in Demut. Kurz vor dem Auftakt der Parlamentstagung, bei der er als drittes Amt die Präsidentschaft übernehmen soll, warnte er die Genossen in einer Rede davor, die Herrschaft der Partei aufs Spiel zu setzen. Wenn die grassierende Korruption nicht eingedämmt werde, könne die Partei womöglich nicht in acht Jahren ihren 100. Geburtstag feiern, mahnte Xi.

Zwar sind derartige Appelle nicht neu, doch viele Experten geben sich optimistisch, dass die neue Führung den Worten auch Taten folgen lassen wird. "Die Partei hat gar keine andere Wahl", erklärt der Pekinger Politologe Pan Wei. Die allgegenwärtige Korruption und die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich würden von den Chinesen nicht länger akzeptiert. "Für die Partei geht es ums Überleben."

Auch Cui Zhiyuan, ebenfalls Politikwissenschaftler, gibt sich überzeugt, dass ein neuer Reformschub bevorstehe. Allerdings würden die neuen Initiativen nicht unbedingt westlichen Vorstellungen von Demokratie oder deregulierten Märkten entsprechen. "Die Finanzkrise hat gezeigt, dass das westliche Modell nicht so gut funktioniert, wie viele im Westen geglaubt haben", so Cui. "Das bestärkt Chinas Führung in der Überzeugung, dass wir unser eigenes Modell finden müssen."

Chen Xingdong, China-Analyst der Bank BNP Paribas, fordert allerdings größere Reformschritte. Um sich an der Macht zu halten, müsse die Partei bereit sein, Macht abzugeben und etwa den Medien mehr Freiheit zu geben. "Der vergebliche Kampf gegen die Korruption zeigt, dass die Partei die Probleme nicht aus sich selbst heraus lösen kann", meint Chen. "Egal, wie viele korrupte Kader hingerichtet werden - solange sich nichts Grundsätzliches ändert, wird es immer nur noch schlimmer."