Am 1. Juli wird Kroatien der 28. Mitgliedsstaat der EU. Wann wird es den nächsten Beitritt geben, wer wird es sein?

ŜTEFAN FÜLE: Ich bräuchte eine Kristallkugel, um diese Frage zu beantworten. Wir haben im Moment keinen konkreten Kalender, weil das hängt vom Fortschritt der einzelnen Kandidaten ab. Was ich sagen kann: Wir haben aufrechte Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, Island und mit Montenegro. Vielleicht, aber das liegt in den Händen der Mitglieder, könnte Mitte des Jahres der Beitrittsprozess mit Serbien und Mazedonien beginnen.

Aber gibt es in der EU nicht Anzeichen einer gewissen Müdigkeit, was neue Beitritte betrifft?

FÜLE: Ich sehe so eine Müdigkeit nicht. Wie kann man in einem der beiden Grundpfeiler müde werden, die treibende Kraft der EU seit ihrem Beginn sind? Erweiterung und Vertiefung der Integration sind die Bereiche, welche die EU und ihre Bürger vorwärtsbringen! Ich kann verstehen, dass in Zeiten der Finanz- und Schuldenkrise der Fokus stark darauf ausgerichtet ist, diese Krise zu meistern. Aber ich glaube, der Prozess der Erweiterung war nie ein Problem, sondern immer ein Teil der Lösung.

Kann beim Beitritt Kroatiens eigentlich noch etwas dazwischenkommen? Slowenien hat nicht nur Vorbehalte, es gibt auch eine innenpolitische Krise, wodurch die Ratifizierung des Beitrittsvertrages durch das Parlament gefährdet sein könnte.

FÜLE: Mein Job ist es nicht, Unfälle und Katastrophen vorherzusehen. Auf der einen Seite haben wir Kroatien, das erfolgreich die Voraussetzungen erfüllt. Auf der anderen Seite sehe ich die Verpflichtung aller EU-Staaten, die den Beitrittsvertrag mit Kroatien unterzeichnet haben, den Ratifizierungsprozess so voranzutreiben, dass Kroatien mit 1. Juli EU-Mitglied werden kann. Beide Länder verhandeln das Problem mit der slowenischen Bank, um eine Lösung für dieses komplizierte Thema zu finden.

Sloweniens Regierung hat derzeit gar keine Mehrheit im Parlament, kann es nicht doch noch heikel werden?

FÜLE: Ich sehe die Bekenntnisse der Politiker aller Mitgliedsländer, dass dieser Beitritt ein Erfolg wird. Wir brauchen solche Erfolgsgeschichten, so viele davon haben wir in der EU in letzter Zeit nicht gehabt. Ist es nicht ein großer Beweis des Vertrauens, dass neun Länder an den Toren der EU klopfen, und sagen: Wir wollen ein Teil von eurem erfolgreichen Projekt sein?

Wenn es nach dem Datum des Beitrittsansuchens geht, müsste eigentlich die Türkei das nächste EU-Mitglied werden. Aber da gibt es auf beiden Seiten keine positiven Anzeichen. Wie sehen Sie das?

FÜLE: Ein möglicher Beitritt hat nichts mit der Länge des Prozesses zu tun. Primär geht es um die Fortschritte in den einzelnen Verhandlungskapiteln. Ich halte es für extrem wichtig, dass die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei fortgesetzt werden. Der jetzige irische EU-Vorsitz könnte ein Wendepunkt sein. Es geht darum, die Türkei zu ermutigen, die Anstrengungen bei den Reformen zu vergrößern.

Vor zehn Jahren gab die EU-Spitze eine Art Versprechen ab, dass die Zukunft des Balkans in der EU liegt. Wenn wir die Lage in den Ländern des westlichen Balkans sehen, wurde dieses Versprechen eingelöst?

FÜLE: Ich habe da keinen Zweifel. Dieses Versprechen wurde auch unter der Prämisse gegeben, dass diese Länder sich so entwickeln, dass sie die Voraussetzungen für die Mitgliedschaft schaffen. Die Österreicher sollten anerkennen, dass dass wir unsere Lektionen gelernt haben. Beim Beitrittsprozess werden nicht einfach bürokratische Kapitel auf- und zugemacht, wie man es mit Schubladen tut. Wir konzentrieren uns ganz darauf, dass nur noch voll vorbereitete Länder im Beitrittsprozess sind. Bei Montenegro öffnen wir die Verhandlungen erstmals mit den europäischen Werten wie Freiheit oder Rechtsstaat und schließen den ganzen Prozess erst, wenn das erfüllt ist.