Wenn am Samstag und Sonntag die Staats- und Regierungschefs Europas und Lateinamerikas in Chile zu ihrem siebten Spitzentreffen zusammenkommen, wird vieles anders sein. Den EU-Spitzen und Regierenden, darunter Bundeskanzler Werner Faymann und Außenamts-Staatsekretär Reinhold Lopatka, tritt erstmals ein formell geeintes Lateinamerika gegenüber, seit sich die 33 Staaten Süd- und Mittelamerikas sowie der Karibik zu einem mächtigen Verbund zusammengetan haben. Die "Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten" (CELAC) vertritt mehr als 518 Millionen Einwohner.

Dementsprechend groß ist das Selbstbewusstsein der Latinos. Das gründet aber nicht nur auf ihrer Größe. Lateinamerika ist längst das Image der Problemregion mit Diktaturen und Wirtschaftskrisen los. Während in Europa die Ökonomie stagniert und die Menschen ihre Jobs verlieren, protzt Iberoamerika mit Wachstum, Armutsreduzierung und Rohstoffboom. In den letzten drei Jahren haben die Staaten der Region mit einem durchschnittlichen BIP-Wachstum von 4,5 Prozent den EU-Wert deutlich übertroffen. Auch heuer werden sie durchschnittlich um 3,6 Prozent wachsen. Damit würde die Wirtschaftskraft Lateinamerikas stärker als die der Weltwirtschaft zulegen können (2,2 Prozent).

Die Latinos wollen daher zeigen, dass sie kein Underdog und Bittsteller mehr sind. "Hier beginnt eine neue Ära, ein Verhältnis, das sehr viel ausgewogener sein muss zwischen dem alten Kontinent und Lateinamerika", fordert Sebastián Piñera, Chiles Präsident und Gipfel-Gastgeber.

Nabelschnur durchtrennt

Lateinamerika hat in den vergangenen Jahren nicht nur die Verbindung zu den USA als engstem Nachbarn gelockert, sondern auch die Nabelschnur zur alten Heimat Europa ein Stück weit durchtrennt. "Europa ist nicht mehr der einzige Partner jenseits der USA", sagt Lateinamerika-Experte Günther Maihold. "Afrika, der pazifische Raum und die arabische Welt sind die neuen regionalen Partner, mit denen viele Staaten Lateinamerikas ihre Beziehungen weiterentwickeln."

Wenn die Staaten Europas ihre privilegierte Position von einst zurückgewinnen wollen, müssen sie Lateinamerika auch als politische Partner auf Internationalem Parkett wahrnehmen. Vor allem Brasilien, aber auch Chile, Kolumbien und Venezuela haben in den vergangenen Jahren hier deutlich Präsenz gezeigt. Sei es nach dem Erdbeben in Haiti, bei globalen Themen wie nachhaltiger Entwicklung oder im Falle Venezuelas die Unterstützung vieler armer Staaten mit vergünstigtem Öl. "Früher haben wir nur diskutiert, wie viel Hilfe wir aus Europa bekommen, jetzt reden wir darüber wie wir gemeinsam die großen globalen Herausforderungen meistern können", betont Präsident Piñera.

Europa kommt aber auch mit einer eigenen Agenda nach Chile. Zum einen wollen die Europäer mit den Latinos gemeinsam über eine Internationale Finanzarchitektur diskutieren, zum anderen wollen sie mehr Sicherheit für ihre Investitionen. Die Direktinvestitionen der EU in Lateinamerika beliefen sich 2011 auf 471 Milliarden Euro und sind höher als die der EU in Russland, China und Indien zusammen.