Das abgelaufene Jahr ist von unzähligen Korruptionsaffären erschüttert worden. Geht 2012 als "annus horribilis" in die innenpolitischen Annalen ein?

HEINZ FISCHER: Diese Affären sind zweifellos als erschütternd zu bezeichnen. Diese Erschütterungen sollten dazu führen, dass die Aufarbeitung mit besonderer Energie und Gründlichkeit erfolgt. Ich hoffe sehr, dass dadurch eine Trendwende eingeleitet wird. Ich darf aber auch bitten, Positives aus dem Jahr 2012 nicht völlig auszublenden.

Das Vertrauen der Bürger in die Politik ist schwer beschädigt.

FISCHER: Das spüre ich auch im persönlichen Kontakt mit Bürgerinnen und Bürgern. Wir dürfen es aber nicht bei dieser Feststellung belassen, sondern müssen weitere Maßnahmen setzen.

Sind das die neuen Korruptionsgesetze? Oder ist es die Rückkehr zu alten bürgerlichen Tugenden?

FISCHER: Beides. Ein ganzes Bündel von Maßnahmen ist notwendig. Einerseits sind das schärfere Gesetze, um Auswüchsen einen Riegel vorzuschieben. Ich trete auch dafür ein, dass man Spekulationen mit öffentlichen Geldern verbietet. Nicht zuletzt sind persönliche Redlichkeit und Integrität gefragt.

In der Neujahrsansprache 2010 haben Sie im Zusammenhang mit der Korruption gesagt, ein "Dauerzustand der Unklarheit wirft Schatten auf unseren Rechtsstaat. Wir brauchen Klarheit". Haben wir heute mehr Klarheit?

FISCHER: In einigen Fällen schon, wie z. B. in der Causa Birnbacher/Martinz oder in der Causa Uwe Scheuch. Diese Feststellung war aber nicht nur vor zwei Jahren gültig. Sie ist auch heute gültig, und sie wird auch in zwei Jahren ihre Gültigkeit nicht verloren haben. Der Rechtsstaat hat beizutragen, dass Klarheit geschaffen wird. Weitere Anklagen stehen vor der Fertigstellung. Wir sind also weiter als vor zwei Jahren. Wir sind aber noch nicht am Ziel.

In Salzburg hat offenbar eine Beamtin Millionen in den Sand gesetzt. Sind die Politiker mit solchen Transaktionen überfordert?

FISCHER: Es scheint tatsächlich so zu sein, dass bestimmte Transaktionen in den letzten Jahren eine enorme Komplexität erreicht haben, sodass ein Ausmaß an Kenntnissen in Computerwissenschaften und höherer Mathematik erforderlich ist, über das nur wenige hoch bezahlte Spezialisten verfügen.

Umso schlimmer ist es, dass niemand weiß, in welchen Ländern und Gemeinden ähnliche Zeitbomben ticken.

FISCHER: Deshalb müssen künftig die bestqualifizierten Experten und Institutionen der Republik Einsicht nehmen können. Wo öffentliches Geld verwendet wird, müssen gläserne Kassen vorhanden sein.

Sollte das Spekulationsverbot in die Verfassung hinein?

FISCHER: Eine Verankerung in der Verfassung wäre sicher eine wirksame Möglichkeit, aber das entscheidet der Gesetzgeber.

Einige Länder fürchten, dass ihre Finanzautonomie dadurch ausgehöhlt wird.

FISCHER: Da liegt ein Missverständnis vor. Es geht nicht darum, den Handlungsspielraum der Länder bei Budgeterstellung oder Budgetvollzug zu beschränken. Es geht darum, dass kompetente Institutionen im Sinne des Prinzips der gläsernen Kassen kontrollierend Einsicht nehmen können. Das sind wir den Steuerzahlern schuldig.

Ist zu befürchten, dass das Unbehagen an der Politik bei der Wahl seinen Niederschlag findet?

FISCHER: Das ist durchaus möglich - und auch das gute Recht der Bürgerinnen und Bürger. Daher ist das Wort "befürchten" fehl am Platz.

Erstmals seit 1945 könnte sich keine Zweierkoalition ausgehen.

FISCHER: Es steht nicht in der Verfassung, dass es in Österreich nur Zweierkoalitionen geben darf.

Bringt eine Dreierkoalition nicht mehr Instabilität mit sich?

FISCHER: Man kann nicht alles haben. Man kann nicht die demokratische Autonomie der Wähler verteidigen und sich dann vor dem Ergebnis fürchten - oder sagen, damit kommen wir nicht zurecht. Warten wir ab, wie der Wähler entscheidet. Ich fürchte mich nicht.

Rechnen Sie damit, dass die Regierungsbildung Sie vor eine besondere Herausforderung stellt?

FISCHER: Es spricht manches dafür, dass es nicht leicht sein wird und dass Neuland beschritten werden muss. Dann ist sorgfältig zu überlegen, welche Schritte man setzt.

Ist auch eine Minderheitsregierung vorstellbar?

FISCHER: Ich lasse mich auf keine "Vorstell-Spekulationen" ein.

Ist jede Partei, die ins Parlament einzieht, regierungsfähig?

FISCHER: Von der Verfassung her hat jeder gewählte Abgeordnete gleiche Rechte und Pflichten - egal, auf welcher Kandidatenliste er kandidiert. Die Verfassung regelt darüber hinaus, wie eine Regierung zu bilden ist. Dies ist mit größter Exaktheit zu beachten. Darüber hinaus wird man berücksichtigen, was sich vor der Wahl getan hat, was im Wahlkampf gesagt wurde. Sonst könnten wir die Regierungsbildung einem Computer übertragen.

Was verlangen Sie von einer Regierungspartei? Ein vorbehaltloses Bekenntnis zu Europa und Euro?

FISCHER: Ich werde jetzt keine zehn politischen Gebote vor der Wahl formulieren. Aber natürlich ist ein Bekenntnis zu Europa, zur Verfassung, den Menschenrechten und vieles andere wichtig.

Kann auch Strache Teil einer Koalition sein?

FISCHER: Sie wollen mich festnageln - das verstehe ich -, aber ich lasse mich jetzt nicht festlegen.

Jetzt tritt Stronach an. Haben Sie ihn schon zu einem Gespräch in die Hofburg eingeladen?

FISCHER: Momentan sehe ich von meiner Seite keinen Anlass, aber wenn er einen Termin wünscht, wird er sicher einen bekommen.

Belebt er die Innenpolitik?

FISCHER: Dafür haben schon die Medien und ZiB 2 gesorgt.

Zur Wehrpflicht: Wissen Sie, wie Sie abstimmen werden?

FISCHER: Ja und ich weiß auch, dass es ein Wahlgeheimnis gibt. Was ich sagen kann: Ich werde in der Neujahrsansprache im Fernsehen dazu aufrufen, diese demokratische Mitentscheidungsmöglichkeit wahrzunehmen.

Sie sind ein Befürworter der Wehrpflicht. Gibt es nicht auch gute Argumente fürs Berufsheer?

FISCHER: Es gibt Argumente für beide Varianten, sonst würde es in Europa nicht beide Varianten geben. Die für Österreich bessere Variante soll eine Mehrheit erhalten.

Begrüßen Sie, dass das Volk befragt wird?

FISCHER: Wenn die Regierung eine klare und gemeinsame Linie verfolgt hätte, wäre eine Volksbefragung nicht notwendig gewesen. Jetzt geht es darum, aus einer Blockadesituation einen Ausweg zu finden.

Sind die Menschen nicht überfordert bei dieser Frage?

FISCHER: Wenn man so argumentiert, muss man jede Form der direkten Demokratie ablehnen. Auch die Entscheidungen zum EU-Beitritt oder zur Kernenergie betrafen sehr komplexe Themen.

Wenn die Wehrpflicht bleibt, sehen Sie dennoch Reformbedarf?

FISCHER: Ja, das habe ich schon mehrfach festgestellt. Ich frage mich manchmal, warum man manches nicht schon längst geändert hat.

Weil wir beim Heer sind: Bereitet Ihnen die Lage der Österreicher auf dem Golan Sorgen?

FISCHER: Ich bekomme von meinem Adjutanten täglich Informationen über die Situation in Syrien und auf dem Golan. Daraus ist ersichtlich, wie tragisch und unberechenbar die Lage in ganz Syrien ist. Und auch auf dem Golan ist die Situation sensibel.

Stehen die Österreicher in einem Jahr womöglich nicht mehr auf dem Golan?

FISCHER: Was in einem Jahr in Syrien sein wird, ist nicht voraussagbar. Österreich hat Vorkehrungen getroffen, dass wir flexibel auf jede mögliche Entwicklung reagieren können.