Wäre die Herabstufung der Kreditwürdigkeit durch die Ratingagentur Moody's ein Mahnschreiben an die französische Regierung, es ginge postwendend zurück an den Absender. Das betrifft uns nicht, uns Sozialisten jedenfalls, der französische Patient lag schon darnieder, als wir im Mai an die Macht kamen. Das ist der Tenor der Antworten auf die Frage, was der Entzug der Bonitätsnote Triple-A wegen mangelnden Reformeifers zu bedeuten habe.

Abwiegeln ist das Gebot der Stunde. Die Abwertung sei Resultat "des Unvermögens früherer Regierungen, den Staatshaushalt zu sanieren und die Wettbewerbsfähigkeit der (französischen) Wirtschaft zu stärken", befand etwa der Pariser Wirtschaftsminister Pierre Moscovici. Beistand erhielt er aus Berlin, wo Finanzminister Wolfgang Schäuble den Entzug des Triple-A als "ein bisschen eine kleine mahnende Beurteilung" gedeutet hat. Zufrieden verweisen französische Regierungspolitiker darauf, dass die Finanzmärkte ruhig, die Zinssätze für Staatsanleihen am Dienstag stabil geblieben sind. Paris scheint Anlegern noch immer sicherer als Madrid oder Rom.

Das heißt nicht, dass Frankreichs Regenten nicht wüssten, dass Moody's Recht hat, dass der französische Patient dringend entschlossener Reformen bedarf. Nach langem Zögern ist der Staatschef in der vergangenen Woche zur Tat geschritten. Francois Hollande hat die von EU-Kommission und Weltwährungsfonds geforderte Kehrtwende vollzogen, ist auf Reformkurs eingeschwenkt. Der Präsident hat erstmals eingeräumt, dass die schwindende Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft einer der Gründe ist für die auf über zehn Prozent gestiegene Arbeitslosigkeit. Und er hat erste Gegenmaßnahmen getroffen. Französische Unternehmen sollen in den nächsten Jahren um insgesamt 20 Milliarden Euro steuerlich entlastet werden. Die Hälfte der Steuerausfälle will der hoch verschuldete Staat durch Sparmaßnahmen auffangen.

Auch hat Hollande an Gewerkschaften und Arbeitgeber appelliert, sich endlich auf Grundzüge einer Arbeitsmarktreform zu verständigen. Es ist ja nicht nur die Last der im europäischen Vergleich rekordverdächtig hohen Steuern und Sozialabgaben, welche die Wettbewerbsfähigkeit schmälert. Hinzu kommt das von Moody's ebenfalls gerügte rigide Arbeitsrecht. Mehr Flexibilität für die Unternehmen, mehr Unterstützung für Arbeitnehmer, die ihren Job verlieren, darum geht es. Auch das hat Hollande endlich klar gesagt.

Nur, das reicht nicht. 2013 wird für Frankreich ein fürchterliches Jahr. Der Staatschef selbst hat eingeräumt, dass die Arbeitslosigkeit erst Anfang 2014 wieder sinken dürfte. Dann erst greifen die beschlossenen Steuerbefreiungen. Augen zu und durch, scheint die Devise des Präsidenten zu sein.

Der Zustand ist verheerend

Die Frage ist nur, ob Frankreich durchkommt. Nicht nur Moody's meldet Zweifel an. Der deutsche Nachbar tut es ebenfalls, wenn auch hinter vorgehaltener Hand. Schäuble hat den Sachverständigenrat um eine Frankreich-Analyse gebeten. Schlagzeilen der "Bild"-Zeitung ("Ist Frankreich das neue Griechenland?") oder des "Economist" ("Frankreich - Zeitbombe im Herzen Europas") haben allseits die Alarmglocken schrillen lassen. Frankreichs Wirtschaftsdaten sind in der Tat verheerend. Hohe Lohnkosten, hohes Außenhandelsdefizit, hohe Arbeitslosigkeit, hohe Staatsverschuldung kennzeichnen die Lage. Und wenn Frankreich strauchelt - die zweitgrößte Wirtschaftsmacht der EU, fällt auch der Rest Europas.

Allfällige Reformen, die auf weniger Staat zielen, weniger Sozialstaat zumal, rütteln indes an den Grundfesten französischen Selbstverständnisses. Ein den Maximen Gleichheit und Brüderlichkeit verpflichteter Wohlfahrtsstaat ist Teil des Kitts, der eine sozial und ethnisch auseinanderdriftende Gesellschaft zusammenhält. An ihm zu sparen, ist riskant, zumal, wenn dies eine sozialistische Regierung tut, von der das allzeit protestbereite Volk nicht weniger soziale Gerechtigkeit erwartet, sondern mehr. Wenn Hollande Kommissionen Gutachten erstellen lässt oder Arbeitsmarktreformen an die Sozialpartner delegiert, anstatt das Land zügig selbst zu modernisieren, ist dies nicht nur mangelnder Entschlusskraft geschuldet. Es zeugt auch von der fast schon verzweifelten Hoffnung auf gesellschaftlichen Konsens.

Das Beispiel Arbeitsmarktreform zeigt allerdings auch, dass die Voraussetzungen dafür nicht gut sind. Die seit Monaten um einen Kompromiss ringenden Gewerkschaften und Arbeitgeber treten auf der Stelle. Eine Kultur des sozialen Dialogs, wie sie Deutschland auszeichnet, hat sich in Frankreich nicht entwickelt. Aus Gewerkschaftssicht ist der Unternehmer dort noch immer der potenzielle Ausbeuter, den es in die Knie zu zwingen gilt.