Die größte Überraschung an diesem Donnerstagmorgen ist die Stimme. Mit tiefem, warmem Bass wendet sich Xi Jinping in Pekings Großer Halle des Volkes an seine Landsleute. "Die Plenarsitzung des Zentralkomitees der Partei hat mich zum Generalsekretär gewählt", verkündet der 59-Jährige und präsentiert sich gewissermaßen selbst als Chinas neuer Staatschef.

Dass die 14-minütige Ansprache, die den hart umkämpften Generationswechsel in der Kommunistischen Partei formal zum Abschluss bringt, für viele Chinesen das erste Mal ist, dass sie Xi sprechen hören, verrät einiges über Chinas politisches System: Obwohl er bereits seit fünf Jahren zur höchsten Führung gehört, trat er in der Öffentlichkeit meist nur als stummer Begleiter seines Parteichefs Hu Jintao auf. Dessen gequetschter Tenor und der dünnstimmige Singsang seines Premiers Wen Jiabao prägten zehn Jahre lang die chinesische Politik. Umso erstaunter wurde in Internetforen daher darüber diskutiert, dass ein chinesischer Spitzenpolitiker auch ganz anders reden kann. Dabei ist es nicht nur Xis Stimme, mit der er sich vom Amtsvorgänger absetzt. Waren Hus Reden von ideologischen Schlagworten geprägt, kam Xi in seiner ersten kurzen Ansprache ohne Bezüge zu Marx oder Mao aus. In Peking gilt das bereits als locker.

Konservative Mehrheit

Neben dem Parteivorsitz übernahm Xi von Hu auch den Oberbefehl über die Volksbefreiungsarmee. Damit hat er die beiden wichtigsten Ämter im Staat inne. Im Frühjahr soll er auch die Präsidentschaft übernehmen. Aber Xi wird nicht allein regieren. Er muss die Macht mit sechs Spitzenkadern teilen, die mit ihm den Ständigen Ausschuss des Politbüros bilden. Über die Zusammensetzung dieses innersten Machtzirkels haben die Parteiflügel monatelang heftig gerungen.

Die Mannschaft, die Xi vorstellte, gilt als Sieg des 86-jährigen Alt-parteichefs Jiang Zemin, der hinter den Kulissen noch immer viele Fäden in der Hand hält. Die Mehrheit der Plätze wurde mit konservativen Politikern aus seinem Lager besetzt. Der scheidende Staatschef Hu hat dagegen nur einen engen Vertrauensmann im innersten Zirkel platzieren können, den designierten Regierungschef Li Keqiang. Der liberale Flügel um den im Frühjahr ausscheidenden Premier Wen Jiabao, der sich wiederholt für politische Reformen ausgesprochen hatte, ist überhaupt nicht mehr vertreten.

Während Chinas Staatsmedien den Machtwechsel feierten, tun sich unabhängige Experten mit einer Bewertung schwer. Der bekannte Intellektuelle Wu Jiaxiang lobt Hu für die saubere Ämterübergabe. "Negativ ist aber, dass Jiang Zemin noch immer das Zentralkomitee kontrolliert", sagte Wu. Obwohl die Chancen für Reformen gut seien, werde die neue Führung mehrere Jahre Zeit brauchen, um den Einfluss ihrer Vorgänger abzuschütteln.

Der kritische Politikkommentator Chen Ziming zeigte sich enttäuscht, dass fünf der sieben Mitglieder der neuen Führungsriege zu alt seien, um nach den Regeln der Partei länger als fünf Jahre an der Spitze zu bleiben. Yang Jisheng, Redakteur der kritischen Zeitschrift "Yanhuang Chunqiu" sagte, die neue Führung sei eine Kompromisslösung mächtiger alter Kader. "Dass es sich um jüngere, gut ausgebildete Kader mit Erfahrung handelt, ist ein gutes Zeichen", sagte Yang. "Über ihren Reformwillen haben sie sich zwar noch nie klar geäußert, aber sie müssten wissen, dass China dringend Veränderungen braucht."