Erfolg für Klitschko, Zuwächse für Radikale: Die Ukraine bleibt nach der Parlamentswahl politisch tief gespalten und ohne klare europäische Perspektive. Vitali Klitschko, für viele der strahlende neue Hoffnungsträger der Opposition, appelliert nach der Abstimmung an die EU, einen auf Eis gelegten Assoziierungsvertrag doch zu ratifizieren. "Unser Ziel sind europäische Standards, dazu brauchen wir europäische Regeln", sagt der Boxweltmeister an diesem regnerischen Nachwahltag in Kiew.

Reformen sind gefragt

Doch Brüssel macht engere Beziehungen von Reformen abhängig - und einem Einlenken im Fall der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko. Die 51-Jährige durfte wegen ihrer umstrittenen Verurteilung nicht kandidieren. Eine Begnadigung seiner Erzrivalin lehnt Staatspräsident Viktor Janukowitsch ab. So sehr sich die Menschen in der ehemaligen Sowjetrepublik vom Wahlergebnis Stabilität erhoffen, der Weg dorthin bleibt steinig. Viele befürchten nun von Janukowitsch eine weitere Hinwendung nach Russland. Demonstrativ verbringt Moskaus Botschafter Michail Surabow den Wahlabend bei Janukowitschs Partei der Regionen in einem Luxushotel im historischen Zentrum der Hauptstadt Kiew. Russland sei bereit, jedes Wahlergebnis zu akzeptieren, sagt Surabow diplomatisch. Jeder müsse aber auch verstehen, dass Moskau seine eigenen Interessen in der Region habe, fügt er hinzu.

Grund zum Triumphieren hat der Zwei-Meter-Mann Janukowitsch nicht. Mit Klitschko ist im zweitgrößten Flächenstaat Europas ein neuer starker Gegner auf der politischen Bühne erschienen. Aus dem Stand schafft es seine Partei Udar (Schlag) bei ihrer ersten Parlamentswahl in die Oberste Rada. Und sie kann als einzige Partei in der politisch gespaltenen Ukraine landesweit punkten. Das macht den 41-jährigen Boxweltmeister für viele seiner Landsleute zu einem Kandidaten für die Präsidentenwahl 2015. Das Land an der östlichen Außengrenze der EU leidet darunter, dass immer dieselben politischen Akteure auf dem Karussell der Macht sitzen. Zudem werden auch diesmal Berichte über Manipulationen der Wahl laut. Stimmen seien gekauft und Wählerlisten gefälscht worden, kritisiert die Wahlbeobachtergruppe Opora. Sie wirft Janukowitsch vor, nur die Interessen einflussreicher Oligarchen zu bedienen - mit soviel Nähe zu Russland wie nötig und so weit weg von den demokratischen Prinzipien des Westens wie möglich.

Die fünf Parteien, die es nun ins Parlament schaffen, präsentieren sich als "bunter Haufen". Bei komplizierten Mehrheitsverhältnissen existiert zwar eine starke Opposition. Allerdings ist auch die Versuchung groß, sich auf Kosten des politischen Partners zu profilieren. Auch deswegen mahnt Klitschko nur Stunden nach der Wahl zur Einheit. Er nennt Janukowitsch "den gemeinsamen Feind" der Opposition. Für viele ist Klitschkos gutes Abschneiden eine Überraschung. Als Sensation aber gilt das Ergebnis für die ultrarechten Nationalisten der Partei Swoboda (Freiheit). Die Rechten ziehen erstmals ins Parlament ein. Parteichef Oleg Tjagnibok, den Beobachter mit dem verstorbenen Jörg Haider vergleichen, propagiert eine "Ukraine den Ukrainern".

Hetze als Werkzeug

Hetze gegen Russland und die EU, aber auch gegen Homosexuelle gehört zum Vokabular von Swoboda. Im wirtschaftlich schwachen Teil des Landes im Westen fallen die schlichten Thesen auf fruchtbaren Boden. "Die Swoboda-Wähler wollen der politischen Klasse damit mitteilen: "Es reicht uns mit euch!"", sagt der Kommentator Jegor Sobolew. Auch die Kommunisten haben bei der Wahl in dem 45-Millionen-Einwohner-Land stark abschnitten. Kommentatoren beklagen daher eine zunehmende Radikalisierung der ukrainischen Politik. Nimmt man beide Parteien zusammen, haben bis zu 25 Prozent der Wähler gegen eine Annäherung an Europa gestimmt. Janukowitsch, einst angetreten, um das Land zu einen, regiert eine zunehmend gespaltene Ukraine.

Nach Jahren der politischen Konfrontation mit Wahlfälschungen und Blockaden hätten sich die Ukrainer von der Abstimmung wieder einmal einen Neubeginn erhofft, sagt der Politologe Wladimir Fessenko. "Die Verhältnisse im ukrainischen Parlament sind aber so kompliziert, dass auf uns weiter lange Grabenkämpfe zukommen", prophezeit er. Die ersehnte Stabilität lasse in dem wichtigsten Transitland für russisches Gas für Europa auch nach der Wahl auf sich warten.