Angela Merkel dürfte die Letzte sein, die Xi Jinping gesehen hat. Bei einem Staatsbesuch in Peking traf Deutschlands Kanzlerin vor zwei Wochen auch Chinas Vizepräsidenten, der in den kommenden Monaten Staats- und Parteichef Hu Jintao ablösen soll. Es war ein Höflichkeitstermin, wenig mehr.

Dann trat Xi noch einmal bei einer Feier der Zentralen Parteihochschule auf. Seitdem ist der 59-Jährige aus der Öffentlichkeit verschwunden - und in Chinas politischen Kreisen wird spekuliert, ob der Partei nach den Skandalen der vergangenen Monate womöglich noch ein weiteres Desaster ins Hause steht.

In einer für Peking höchst ungewöhnlichen Manier haben Chinas Diplomaten innerhalb weniger Tage gleich mehrere Treffen Xis mit ausländischen Delegationen abgesagt. Vergangene Woche hätte Xi US-Außenministerin Hillary Clinton sowie Singapurs Premierminister Lee Hsien Loong empfangen sollen, doch beide Gespräche wurden kurzfristig gestrichen, angeblich aufgrund "normaler Terminänderungen", wie ein Regierungssprecher versicherte.

Doch "normal" sind derartige Absagen keineswegs, sagen ausländische Diplomaten, die mit den Gepflogenheiten des chinesischen Protokolls vertraut sind.

Am vergangenen Donnerstag verschickte der chinesische Journalistenverband dann per SMS Einladungen zu einem Treffen Xis mit der dänischen Regierungschefin Helle Thorning-Schmidt an diesem Montag. Doch weil Xi nicht erschien, brodelt es in der Gerüchteküche. Zu den harmlosesten Erklärungen gehören ein Rückenleiden oder eine Sportverletzung, die sich Xi beim Schwimmen oder beim Fußballspiel zugezogen haben soll. Die Nachrichtenagentur Reuters will erfahren haben, Xi sei krank, aber es gebe "kein Problem". Der "International Herald Tribune" sagte dagegen ein Informant, Xi habe einen leichten Herzinfarkt erlitten.

In anderen Medien ist auch von einer Krebserkrankung die Rede. Ernsthafte Gesundheitsprobleme könnten die Machtübergabe, die beim Parteitag in den kommenden Wochen vollzogen werden sollte, grundsätzlich durcheinanderbringen. In Internetforen kursieren allerdings noch weitaus wildere Spekulationen, unter anderem über einen als Autounfall getarnten Mordanschlag. Als Indiz werden erhöhte Sicherheitsvorkehrungen um das Pekinger Militärkrankenhaus 301 angeführt, in dem häufig Mitglieder der Führung behandelt werden. Auffällig ist auch, dass zusammen mit Xi der Chef der Parteidisziplinarkommission, He Guoqiang, von der Bildfläche verschwunden ist.

Das beflügelt Gerüchte über einen Racheakt von Anhängern des im März gestürzten Chongqinger Parteichefs Bo Xilai. Auch über ein aus dem Umfeld von Präsident Hu angeordnetes Mordkomplott wird gemunkelt, nachdem dessen engster Vertrauter Ling Jihua kürzlich über einen Ferrari-Unfall seines Sohnes mit tödlichem Ausgang stürzte.

Zensur im Internet

Belastbare Belege gibt es für keine dieser Thesen. Doch dass im chinesischen Internet Suchanfragen zu Xi oder zu Worten wie "Rückenschmerzen" und "Autounfall" blockiert sind, zeigt, dass die Regierung die Spekulationen mit Nervosität verfolgt. Die einzige offizielle Stellungnahme, zu der sich Außenamtssprecher Hong Lei bisher durchringen konnte, ist ironischerweise die Aussage, zu dem Fall sei "alles gesagt". Nicht einmal eine Ankündigung für das Datum des seit Langem erwarteten Parteitages gibt es. Beim letzten Parteitag vor fünf Jahren war der Termin schon im August bekannt. Dass die Führung diesmal zögert, scheint jedenfalls zu belegen, dass die Machtkämpfe hinter den Kulissen noch immer anhalten.