Die Stunden, die er damals als Schüler voller Spannung vor dem Radio verbrachte, hat Efraim Singer bis heute nicht vergessen: "Israel mag seither Hunderte Terrorattentate durchlebt haben, aber das Massaker von München 1972 behält für das Land einen besonderen Stellenwert", sagt der Generalsekretär des israelischen olympischen Komitees der Kleinen Zeitung. Die Erinnerung an das Attentat auf die Olympischen Spiele 1972 ist lebendig. Acht palästinensische Terroristen nehmen elf israelische Sportler gefangen, die Geiselnahme endet im Blutbad: Alle Sportler, fünf Geiselnehmer und ein Polizist sterben.

Als die Judoka Yael Arad 1992 Israels erste Olympiamedaille gewann, widmete sie diese den elf Opfern. Acht Jahre später war das Denkmal für die ermordeten Sportler die erste Stätte, die Israels erster Olympiasieger Gal Friedmann nach seiner Heimkehr aufsuchte.

München veränderte alles

Dass das Attentat für Israelis so eine Bedeutung hat, liegt an der Bestürzung, die der Angriff auslöste: "Vorher herrschte eine Atmosphäre von Frieden und internationaler Solidarität. Auch die israelischen Sportler fuhren in dieser Stimmung nach München. Niemand dachte an etwas Böses", sagt Singer. Seither "wird alles, was wir tun, von Sicherheitsbedenken überschattet. In London musste unser Komitee dieselben Anstrengungen, die es in sportliche Leistungen investierte, der Sicherheit widmen", sagt Singer.

Viele Israelis haben aus München die Konsequenz gezogen, dass man sich nur auf sich selbst verlassen könne. Geheime Regierungsakten, die anlässlich des Jahrestages veröffentlicht wurden, bestätigten diese Weltanschauung: "Ich sage das mit voller Verantwortung: Die Deutschen taten nicht das Geringste, um die noch Lebenden zu retten, nahmen kein Risiko auf sich, um die Leute zu retten, nicht unsere und nicht ihre eigenen", sagte Mossad-Chef Zvi Zamir dem Kabinett, nachdem er die gescheiterte Rettungsaktion auf dem Militärflughafen Fürstenfeldbruck miterlebt hatte. Jenseits der unzureichenden Professionalität der Sicherheitskräfte ("ihre Scharfschützen hatten keine Gewehre, nur Pistolen") kritisierte Israels wichtigster Spion die kühle Haltung der Gastgeber: "Meine Anwesenheit störte sie. Angesichts ihrer Hilflosigkeit war es ihnen peinlich, wie ein Israeli sieht, dass drei Terroristen 400 Polizisten in Schach halten."

Doch besonders stört Israel bis heute die Abgebrühtheit, die die Welt den Opfern entgegenbrachte. Dass das Internationale Olympische Komitee (IOC) sich weigerte, der Toten bei der Eröffnungsfeier in London zu gedenken, kam vielen wie eine Reprise der Ereignisse vor 40 Jahren vor. Als Israels Botschafter 1972 darum bat, die Spiele abzubrechen, lehnte das Organisationskomitee und Innenminister Hans-Dietrich Genscher mit der Begründung ab, der Abbruch könne die Polizeiarbeit behindern, auch habe "das deutsche Fernsehen kein alternatives Programm". Die Spiele wurden nach einem Trauertag fortgesetzt, man wollte den Terroristen keinen Triumph gönnen. Mit "The Games must go on", prägte IOC-Präsident Avery Brundage einen legendären Satz.

Doch auch für die deutsche Seite ist die Rückschau schmerzlich. "Das Attentat war die schwerste Stunde meines politischen Lebens", sagt Genscher. Er stand damals mit Walther Tröger, dem Bürgermeister des olympischen Dorfs, an vorderster Front. Sie mussten mit Terroristenführer "Issa" verhandeln. Tröger erinnert sich: "Er hat gesagt: Wir haben nichts gegen euch und die Spiele. Aber ihr bietet uns hier ein Schaufenster. Wir sind Soldaten und haben den Auftrag, dieses Schaufenster zu nutzen." Die Terroristen hatten leichtes Spiel. Die Sicherheit war bewusst locker gehalten worden. "Wir wollten zeigen, dass das nicht das Deutschland von 1936 ist", sagt Hans-Jochen Vogel, damaliger Münchner Oberbürgermeister.

Die Terroristen kommen ungehindert in das Dorf. Sie verlangen die Freilassung von 200 Palästinensern aus israelischen Gefängnissen. Israel lehnt dies ab. Zum Schein wird dennoch verhandelt, immer neue Ultimaten laufen ab. Genscher und Tröger bieten sich als Ersatzgeiseln an. Die Terroristen verlangen, mit den Geiseln in den arabischen Raum ausgeflogen zu werden.

Dilettantismus pur

Was außerhalb der Wohnungen abläuft, bekommen sie per Radio und TV mit - man hatte vergessen, den Strom abzustellen. Genscher bietet daraufhin Kanzler Willy Brandt seinen Rücktritt an, was dieser ablehnt. Nicht einmal drei Wochen danach ordnet Genscher an, die Anti-Terror-Einheit GSG9 aufzubauen.