Es ist sechs Uhr in der Früh, als die Angriffe auf die 10.000 Einwohner von Tremseh beginnen. Ibrahim, ein Aktivist aus Hama, warnt seine Mitstreiter im Ort: "Ich habe ihnen gesagt, dass alle Familien das Dorf verlassen sollen." Doch die Angreifer sind vorbereitet: "In den Feldern lauerten schon die Milizionäre, sie töteten die Menschen und warfen ihre Leichen in den Fluss." So begann das jüngste Massaker im syrischen Bürgerkrieg laut Berichten syrischer Regimegegner.

Ihre Bilanz am Ende der Kämpfe vom Donnerstag: 160 Leichen, die von den Dorfbewohnern am Abend eingesammelt wurden. Darunter 50 der ursprünglich 250 Deserteure und Kämpfer, die im Dorf stationiert gewesen seien. Die Rebellen konnten den Angriff der syrischen Armee nicht stoppen.

Die Regierung in Syrien sieht das anders. Staatliche Medien berichten - weit weniger detailreich als die Aktivisten -, der Angriff sei von "terroristischen Gruppen" verübt worden und verweist darauf, dass auch drei Angehörige der syrischen Sicherheitskräfte ums Leben gekommen seien. Eine unabhängige Überprüfung der Angaben beider Seiten ist nicht möglich. Sollten sich die Angaben der Opposition bewahrheiten, wäre das Massaker von Tremseh das schlimmste seit Beginn der Aufstände im März des Vorjahres.

Kofi Annan unter Druck

Mit der Zahl der bekannt werdenden Verbrechen und deren Opfer steigt auch der Druck auf die westlichen Vermittler. Vor allem der Sondergesandte der Vereinten Nationen, Kofi Annan, gerät in Bedrängnis. Sein Sechs-Punkte-Plan für einen Frieden zwischen Regime und Opposition konnte bisher kaum umgesetzt werden, eine Beobachtermission der UNO musste aus Syrien abreisen, nachdem sie unter Beschuss geraten war. Dass er mit dem syrischen Präsidenten, Bashar al-Assad, persönlich verhandelte und auch den Iran in eine Lösung einbinden will, stößt bei den Regimegegnern auf wenig Gegenliebe. Die syrischen Muslimbrüder, die auf der Seite der Oppositionskämpfer stehen, machten Annan nun sogar mitverantwortlich für das Massaker in Tremseh.

Der Chef des Oppositionellen Syrischen Nationalrats (SNC) nannte den Vorfall eine "Schande für den UN-Sicherheitsrat". Der SNC forderte den Rat auch auf, aktiv zu werden. Um den "mörderischen Wahnsinn" zu stoppen, bedürfe es einer "dringenden und scharfen Resolution" mit Sanktionen gegen das syrische Regime. Diese versucht der Sicherheitsrat zurzeit in New York zu verhandeln, steckt dabei aber noch immer in seinen alten Fronten fest: Gegen einen Entwurf für die Resolution, der Sanktionen enthält, kündigte Russland erneut sein Veto an. Der Kreml ist einer der wichtigsten Verbündeten Assads.

Bürgerkrieg bricht voll aus

Der Bürgerkrieg ist inzwischen auf beiden Seiten ausgebrochen: Die Rebellen entführen im Namen der Freiheit Funktionäre des Regimes; Assad-Unterstützer werden misshandelt oder erschossen. Im Namen des Regimes wird gefoltert, geplündert, gemordet, vergewaltigt. Bald könnte es zu härteren Waffen greifen: Das "Wall Street Journal" berichtete, das Regime habe begonnen, chemische Waffen aus seinen Lagern zu holen. Ob das eine Drohgebärde oder die Vorbereitung zu deren Einsatz ist, sei noch unklar.