Wenige Tage nach der ersten freien Präsidentenwahl macht sich in Ägypten ein politisches Vakuum breit. Um Betrugsvorwürfen nachzugehen, verschob die Wahlkommission die für Donnerstag geplant gewesene Bekanntgabe des Ergebnisses. Die Muslimbrüder drohten mit Massenprotesten, sicherten aber einen Gewaltverzicht zu. In der Nacht versammelten sich erneut Tausende Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in der Hauptstadt Kairo, um vom Militär die Umsetzung des Versprechens zu erzwingen, die Macht bis zum 1. Juli in zivile Hände zu übergeben.

Unsicherheit zieht die Wirtschaft in Mitleidenschaft

Noch ist völlig offen, in welche Richtung das Land am Nil steuert. Für einen reibungslosen Übergang zur Demokratie gibt es kaum Anzeichen. Die Unsicherheit zieht die Wirtschaft in Mitleidenschaft: Das ägyptische Pfund fiel gegenüber dem US-Dollar auf ein Sieben-Jahres-Tief.

Das Ergebnis der Präsidentenwahl dürfte frühestens am Sonntag kundgemacht werden. "Wir nehmen uns die Zeit, die Einsprüche genau zu prüfen", sagte der Richter Maher al-Beheiri, der Mitglied im Wahlkomitee ist. Hinter der Verschiebung vermuten viele Ägypter - in Kenntnis der Wahlfälschungen in rund 60 Jahren Herrschaft des Militärs - den Versuch der Streitkräfte, sich der Forderung nach Demokratie mit aller Macht zu entziehen.

Spekulationen im Internet

In Kairoer Cafés und in sozialen Netzwerken im Internet wurden Spekulationen laut, die Armee bereite sich auf die Sicherung der wichtigsten Städte vor. In Militärkreisen hieß es, die Streitkräfte hielten sich lediglich für den Fall gewaltsamer Proteste der Wahlverlierer in Alarmbereitschaft. Nach der Stichwahl zwischen dem Muslimbruder Mohammed Mursi und dem früheren Luftwaffenchef Ahmed Shafik, dem letzten Premier unter Langzeitmachthaber Hosni Mubarak, haben beide Seiten den Sieg für sich reklamiert.

Jeder Versuch, den von der Armee favorisierten Shafik durch Manipulation zu inthronisieren, werde zu Spannungen und Instabilität in Ägypten führen, sagte Ahmed Maher von der Jugend-Protestbewegung "6. April". "Dann werden wir wieder auf die Straße gehen."

Atmosphäre der Unsicherheit

Die Atmosphäre der Unsicherheit wird durch Nachrichten befeuert, wonach der im Vorjahr durch die Tahrir-Demonstranten zum Rücktritt gezwungene Mubarak mit dem Tod ringe. Seitens der Sicherheitsbehörden hieß es, der 84-Jährige falle immer wieder ins Koma, der Zustand stabilisiere sich aber. Viele Ägypter verdächtigen die Generäle jedoch, die gesundheitliche Verfassung ihres langjährigen und mittlerweile zu lebenslanger Haft verurteilten Weggefährten zu dramatisieren, um ihm das Gefängnis zu ersparen.

Der Oberste Militärrat unter Feldmarschall Mohammed Hussein Tantawi verfügt derzeit über die gesamte exekutive und legislative Macht. Er hat vergangene Woche das von den Islamisten dominierte Parlament - aufgrund einer Entscheidung der noch von Mubarak ernannten Verfassungsrichter - aufgelöst, die Vollmachten des künftigen Staatspräsidenten stark beschnitten und sich die Federführung bei der Ausarbeitung der neuen Verfassung gesichert.