Verlierer sehen anders aus. So, wie Alexis Tsipras von seinen Anhängern gefeiert wird, könnte man meinen, er hätte die Wahl gewonnen: Ein Meer von Fahnen begrüßt ihn. "Wir haben den Weg der Hoffnung gebahnt", ruft Tsipras. An seiner Seite steht Manolis Glezos, ein Urgestein der griechischen Linken. Als 18-Jähriger kletterte er am 30. Mai 1941 auf die Akropolis, holte die von den deutschen Besatzern aufgezogene Hakenkreuzfahne ein und zog die griechische Flagge auf. Hier der greise Nationalheld, dort sein politischer Enkel, der neue Star der Linken. Nein, ein Verlierer ist Tsipras nicht. Eher zweiter Sieger. Wer hätte für möglich gehalten, was ihm gelungen ist: Bei den Wahlen 2009 bekam das von ihm geführte Bündnis der radikalen Linken (Syriza) 316.000 Stimmen, jetzt waren es über 1,6 Millionen.

Tsipras hat die einstige Splitterpartei zum Sammelbecken des Protests gegen den Sparkurs gemacht. Dass es nicht für den Wahlsieg reichte, scheint ihn nicht sonderlich zu stören. Er wirkte fast erleichtert, dass der Kelch des Ministerpräsidenten an ihm vorübergegangen ist. Das weiß auch Antonis Samaras, der sich seit gestern um die Bildung einer Koalition bemüht. Für einen Wahlsieger wirkte der Chef der konservativen Nea Dimokratia (ND) nicht gerade ausgelassen. Sein Lächeln schien gequält. Samaras hat gewonnen, aber er weiß: Sein Sieg ist nur geborgt. Dass er gegenüber der Abstimmung vom 6. Mai noch einmal 600.000 Stimmen hinzugewinnen konnte, verdankt er vor allem der Angst vor Tsipras und dem befürchteten Verlust des Euro, falls der Radikallinke an die Macht gekommen wäre.

Umso größer ist der Erfolgsdruck, unter dem Samaras steht. Noch am Wahlabend hatte er davon gesprochen, möglichst schnell eine "Regierung der nationalen Rettung" bilden zu wollen. Am liebsten hätte Samaras Tsipras mit ins Boot geholt - wohl wissend, dass der Syriza-Chef nicht nur Parlamentsreden halten wird. Er könnte seine Anhänger mobilisieren und der Regierung mit Streiks und Protesten das Leben zur Hölle machen. Doch schon vor Beginn der Koalitionssondierungen winkte Tsipras ab. Damit ist die Idee einer Großen Koalition vom Tisch.

Sozialisten als Partner

Also muss sich Samaras andere Partner suchen. Für den Abend war ein Treffen mit Evangelos Venizelos anberaumt, dessen sozialistische Pasok abgeschlagen auf dem dritten Platz landete. Das Treffen war erfolgreich, die Sozialisten sind zum Eintritt in eine Koalition grundsätzlich bereit. "Das Land muss bis Dienstagabend eine Regierung haben", verkündete Venizelos anschließend. Pasok hat seit 2009 zwei Drittel der Stimmen verloren - die Quittung für zwei Jahre brutalen Sparkurses, der Griechenland in die tiefste Rezession der Nachkriegsgeschichte getrieben hat. Ob es hilfreich ist, wenn sich Pasok an der Regierung beteiligt, ist strittig. Für diesen Schritt spricht die Staatsräson. Bekommt Samaras keine stabile Mehrheit zustande, drohen erneut Monate der Lähmung und ein dritter Wahlgang. Das würde den Staatsbankrott bedeuten. Samaras möchte alles daransetzen, bereits als Premier zum EU-Gipfel am 28. Juni zu fliegen.

Ein anderes Signal an Europa geht aber bereits vom Wahlergebnis aus: Einfach weitermachen wie bisher mit dem Sparkurs kann man nicht. Samaras bekannte sich zwar schon im Herbst zu den Zielen des Reformprogramms. Er will aber seinen Partnern zweierlei abhandeln: mehr Zeit für die Umsetzung der Sparziele und Wachstumsimpulse für die Wirtschaft, die in der Krise fast um ein Fünftel geschrumpft ist. Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker signalisierte gestern seine Bereitschaft zu einer "zeitlichen Streckung" des Reformprogramms.

Samaras wird in Brüssel auch zu erklären versuchen, dass es in Griechenland um mehr geht als Fiskalprobleme. Das Land droht seinen sozialen Zusammenhalt zu verlieren. Schon im Frühjahr lieferten sich rechte und linke Schlägertrupps Straßenschlachten in Athen, die Polizei schaute zu. Nacht für Nacht machen schwarz gekleidete Ultra-Nationalisten Jagd auf dunkelhäutige Ausländer. Der Wahlerfolg der Neonazi-Partei Goldene Morgenröte ist ein alarmierendes Signal.