Der britische Premierminister Rishi Sunak und Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) haben am Dienstag Einigkeit in Migrationsfragen demonstriert. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz nach einem Treffen der beiden Regierungschefs in Wien sagte Nehammer, Großbritannien sei ein „Wegbereiter“ und ein „strategischer Partner“, wenn es darum gehe, Asylverfahren in sicheren Drittstaaten durchzuführen. Sunak bezeichnete illegale Migration als „eines der bestimmenden Themen unserer Zeit“.

Asylverfahren in sicheren Drittstaaten würden bedeuten, „dass das Geschäftsmodell des Versprechens der organisierten Kriminalität, die Menschen in die Grenzen der Europäischen Union oder des Vereinigten Königreichs zu schmuggeln, keine Gültigkeit mehr hat“, sagte Nehammer. Auch könne dieser Weg Menschenleben retten, denn er bedeute „keine gefährlichen Schmuggelrouten“. Innerhalb der Europäischen Union sei es „noch ein weiter Weg“, doch es gebe mittlerweile 15 Staaten, „die verbündet sind mit Österreich, damit wir diese Änderungen im europäischen Rechtssystem durchführen können“.

Dänemark „wesentlicher Verbündeter“

Der Bundeskanzler bezeichnete in diesem Zusammenhang Dänemark als "wesentlichen Verbündeten" innerhalb der EU. Mit der Partnerschaft mit dem Vereinigten Königreich könne es gelingen, "eine Veränderung im Diskussionsprozess herbeizuführen": "Deswegen gibt es von österreichischer Seite, dort, wo wir können, volle Unterstützung für den britischen Weg. Ich halte ihn für wichtig und maßgeblich."

Sunak hielt zum Thema irreguläre Migration fest, dass man es mit kriminellen Banden zu tun habe, die quer über den europäischen Kontinent und darüber hinaus an Stärke gewönnen und "einen schrecklichen menschlichen Zoll" forderten. "Menschen verlieren ihr Leben." So weiterzumachen wie bisher werde das Problem nicht lösen. "Wir müssen kreativ denken, wir müssen neue Ideen, neue Lösungen und Abschreckungen verfolgen, Umsiedlungen in sichere Drittstaaten, wie das wegbereitende britische Ruanda-Modell."

Einigkeit demonstrierten die beiden Regierungschefs auch hinsichtlich der Lage in Nahost und der Unterstützung für die von Russland angegriffene Ukraine. Ein weiteres Thema im Gespräch zwischen Sunak und Nehammer war der Westbalkan.

Bei der Pressekonferenz waren keine Fragen möglich. Nehammer führte später im Gespräch mit Journalisten aus, dass die 15 EU-Staaten, die bisher bereit seien, die Rechtslage zu ändern, um Verfahren in sicheren Drittstaaten zu ermöglichen, noch mehr Unterstützer bräuchten. „Das Ruanda-Modell, das Großbritannien anstrebt, ist deshalb wichtig für uns, denn wenn diese Verfahren gelingen und auch sicher durchgeführt werden können, dann ist auch der Beweis erbracht, dass damit tatsächlich die Möglichkeit gegeben ist, gegen die organisierte Kriminalität, die den Menschenschmuggel und Menschenhandel betreibt, effizient vorzugehen.“

Das Ruanda-Modell

Das britische Ruanda-Modell sei „ein Beispiel für Asylverfahren in sicheren Drittstaaten“, sagte der Bundeskanzler. „Wir müssen nordafrikanische Staaten dafür gewinnen, wir müssen andere Länder dafür gewinnen, wenn es um Landrouten geht, das durchzuführen.“ Nehammer kündigte in dem Journalistengespräch auf eine entsprechende Frage auch an, an der für Mitte Juni in der Schweiz geplanten Ukraine-Friedenskonferenz teilzunehmen.

Sunak war in der Früh mit militärischen Ehren in Wien willkommen geheißen worden. Bei seiner kurzen Visite handelte es sich um den ersten offiziellen Besuch eines britischen Premierministers in der Bundeshauptstadt seit jenem von David Cameron 2015.

Die konservative Regierung in London plant seit längerem, bestimmte irregulär eingereiste Asylsuchende in das ostafrikanische Ruanda zu verbringen. Eine Umsetzung des Vorhabens scheiterte bisher unter anderem am britischen Höchstgericht. Im April verabschiedete das britische Parlament ein neues Gesetz, das es der Regierung ermöglichen soll, Asylsuchende, die seit dem 1. Jänner 2022 auf illegalem Weg in das Vereinigte Königreich gelangt sind, nach Ruanda auszufliegen, wo sie um Asyl ansuchen und sich im Falle eines positiven Verfahrens auch niederlassen sollen. Das Gesetz erklärt Ruanda zum sicheren Drittstaat und soll Einsprüche vor britischen Gerichten gegen Abschiebungen möglichst verhindern. Die ersten entsprechenden Flüge sind für Juli geplant.

Migrationsexperte Kmaus in der ZiB

Der Migrationsexperte Gerald Knaus äußerte sich in der ZiB2 skeptisch zu den Plänen der Briten. Bisher hätten sie noch nicht gefruchtet, aber die Neuerungen im Gesetz hätten Potenzial. „Sichere Drittstaatenabkommen haben auf jeden Fall das Potenzial zu verhindern, dass Menschen in die Boote steigen und sterben“, so Knaus.

Der Experte geht jedenfalls davon aus, dass Abkommen mit anderen Staaten erfolgversprechend sein könnten. Dafür brauche es auch keine Einstimmigkeit in der EU. Möglicherweise müsse aber rechtlich an Stellschrauben gedreht werden. Derzeit dürfen Staaten nur mit Ländern Rückführungsabkommen schließen, zu denen sie besondere Beziehungen haben.