Wenige Tage nach dem Überfall auf den sächsischen SPD-Europa-Abgeordneten Matthias Ecke ist es in Deutschland neuerlich zu Attacken auf Politikerinnen gekommen. In Berlin erlitt Wirtschaftssenatorin und Ex-Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) bei einem tätlichen Angriff leichte Verletzungen. In Dresden wurde eine 47 Jahre alte Grün-Politikerin beim Aufhängen von Wahlplakaten attackiert, die Polizei stellte zwei Verdächtige.
Erster Ermittlungserfolg
Nun meldet die Staatsanwaltschaft Berlin einen ersten Ermittlungserfolg im Fall Giffey. Der mutmaßliche Angreifer sei von den Behörden inzwischen identifiziert und festgenommen worden. Das bestätigte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Wie mehrere deutsche Medien berichten, soll es sich um einen 74-jährigen, dem deutschen Staatsschutz bereits bekannten Mann handeln. Er soll bereits in der Vergangenheit wegen staatsschutzrelevanter Taten aktenkundig geworden sein. Die Ermittler prüfen, ob eine psychische Erkrankung des mutmaßlichen Täters vorliegt. Gegen den Beschuldigten wird wegen des Verdachts auf gefährliche Körperverletzung ermittelt. Weitere Angaben zum Motiv gibt es bislang nicht.
Die frühere Berliner Bürgermeisterin zeigte sich am Mittwoch kämpferisch. Nach dem ersten Schreck gehe es ihr gut und sie setze „heute unbeirrt meine Arbeit fort“. „Diese Angriffe sind durch nichts zu rechtfertigen“, erklärte sie. Sie stellten eine Grenzüberschreitung dar, der sich die Gesellschaft entschieden entgegenstellen müsse. Sie sei besorgt und erschüttert über eine sich verstärkende „Freiwildkultur“, der Menschen, die sich politisch engagierten, ausgesetzt seien.
Parteiübergreifend Solidarität
„Wir leben in einem freien und demokratischen Land, in dem jede und jeder seine Meinung frei äußern darf und kann. Dennoch gibt es eine klare Grenze - und das ist Gewalt gegen Menschen, die eine andere Auffassung vertreten, aus welchen Gründen auch immer, in welcher Form auch immer.“ Der Berliner Bürgermeister Kai Wegner (CDU) verurteilte den Angriff auf Giffey aufs Schärfste. „Wer Politikerinnen und Politiker angreift, greift unsere Demokratie an“, erklärte er am Mittwoch.
Giffey (SPD) wurde Dienstagnachmittag in einer Bibliothek im Stadtteil Rudow attackiert. Ein Mann habe die frühere regierende Bürgermeisterin unvermittelt „von hinten mit einem Beutel, gefüllt mit hartem Inhalt, attackiert und am Kopf sowie am Nacken getroffen“, teilten Polizei und Staatsanwaltschaft Berlin in der Nacht auf Mittwoch mit. Giffey begab sich kurzzeitig zur ambulanten Behandlung von Kopf- und Nackenschmerzen in ein Krankenhaus. Der Polizeiliche Staatsschutz habe die Ermittlungen übernommen.
Farbkübel-Attacke auf Edtstadler
Die Grün-Politikerin in Dresden – deren Namen die Polizei zunächst nicht sagen wollte – wurde Dienstagabend von einem 34-jährigen Mann beiseite gestoßen, beleidigt und bedroht, teilte die Polizeidirektion Dresden mit. Er soll auch zwei Wahlplakate heruntergerissen haben. Eine 24-jährige Frau sei dazugekommen und habe die Politikerin – die in Begleitung von Helfern und einem Drehteam war – unvermittelt bespuckt. Die Polizei stellte die beiden in unmittelbarer Nähe. Gegen den 34-jährigen Deutschen werde wegen Körperverletzung, Bedrohung, Beleidigung und Sachbeschädigung ermittelt und gegen die 24-jährige Deutsche wegen Körperverletzung.
Weil die beiden zuvor bei einer Gruppe gestanden haben sollen, aus der heraus der Hitlergruß gezeigt worden sein soll, werde außerdem wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gegen sie ermittelt. Beide Verdächtige blieben auf freiem Fuß, berichtete der Polizeisprecher.
Ecke bei Angriff schwer verletzt
Erst am Freitag war der sächsische SPD-Spitzenkandidat für die EU-Wahl, Matthias Ecke, in Dresden von vier jungen Männern im Alter von 17 und 18 Jahren zusammengeschlagen und schwer verletzt worden, als er Wahlplakate anbringen wollte. Das Landeskriminalamt (LKA) Sachsen rechnet zumindest einen dem rechten Spektrum zu. Kurz vor dem Angriff auf Ecke hatte laut Polizei mutmaßlich dieselbe Gruppe in der Nähe einen Grünen-Wahlkampfhelfer verletzt.
Schutz von Politikern diskutiert
Am Dienstag hatten sich die Innenminister von Bund und Ländern vor dem Hintergrund der Angriffe zu einer Sondersitzung getroffen und sich zum besseren Schutz von Politikern und Wahlkämpfern auch für eine Verschärfung des Strafrechts ausgesprochen.
Faeser bezeichnete den Übergriff auf Ecke am Dienstagabend in den ARD-„Tagesthemen“ als Zäsur. Die Verschärfung des Strafrechts sei nur eine Maßnahme. Es brauche unter anderem schnellere Verfahren der Justiz, um Tätern schnell Grenzen aufzuzeigen. Wichtig sei auch, dass alle Straftaten angezeigt und konsequent verfolgt würden. Sie verwies auf die nächste Sitzung der Innenministerkonferenz, bei der das Thema noch einmal vertieft werden müsse.
Strafverschärfung bei Angriffen auf Politiker und Wahlhelfer
Die Ressortchefs unterstützten nach Angaben zwei Bundesratsinitiativen aus Bayern und Sachsen. Die sächsische Initiative sieht eine Strafverschärfung bei Angriffen auf Politiker und Wahlhelfer vor. Damit sollen Entscheidungsträger gerade auf kommunaler Ebene vor Übergriffen auf ihr Privatleben geschützt werden. Die Innenminister fordern zudem das deutsche Bundesinnenministerium auf, sich für eine zügige Behandlung einer Initiative Bayerns zum strafrechtlichen Schutz gemeinnütziger Tätigkeit einzusetzen. Damit sollen Übergriffe auf politisch engagierte Menschen stärker bestraft werden.
Im Jahr 2023 gab es laut Faeser 2710 Straftaten gegen Mandatsträger, 53 Prozent mehr als im Vorjahr. Sie betonte: „Auch Angriffe gegen AfD-Politiker sind nicht hinnehmbar.“ Sie sprach von einer „Eskalation antidemokratischer Gewalt“. Die Spirale von Hass und Gewalt müsse gestoppt werden.