MICHAEL FLEISCHHACKER: Es drängt mich, die uns auferlegte Fragestellung etwas zu erweitern und ehr so zu formulieren: „Braucht das Land einen ORF, und wenn ja, welchen?“ Und ich würde vorschlagen, dass wir uns dabei in erster Linie inhaltlichen Fragen widmen und die handelsübliche Neiddebatte über angeblich oder tatsächlich überhöhte ORF-Gehälter dem Boulevard überlassen. Einverstanden, Thurnher?

ARMIN THURNHER: Sehr gern. Wobei ich das Wort „Neiddebatte“ auch gleich gerne in den Orkus stieße, denn über Gehälter und deren Angemessenheit diskutiere ich neidlos ganz gern. Im vorliegenden Fall aber handelt es sich nicht um eine Debatte sondern um Ressentiment und Denunziation, also weg damit. Die Frage „Braucht das Land einen ORF, und wenn ja, welchen?“ beantworte ich einmal so: Noch nie bedurfte es öffentlich-rechtlicher Medien so sehr wie heute. Und noch nie wurden sie derart angefeindet wie heute.

FLEISCHHACKER: Dann würde ich ergänzen: Und noch nie sind sie dem öffentlich-rechtlichen Auftrag, ausgewogen zu informieren und die ganze Breite des gesellschaftlichen Bewusstseins abzubilden so wenig gerecht geworden. An sich hätten die öffentlich-rechtlichen Anstalten die Aufgabe, so etwas wie das Gespräch einer Gesellschaft mit und über sich selbst zu organisieren, sie wären also im Idealfall wie selbstverständlicher Bestandteil der gesellschaftlichen Infrastruktur. Stattdessen haben sie ein existenzielles Glaubwürdigkeitsproblem, weil sie seit der Migrationskrise des Jahres 2015 und dann besonders stark während der drei Pandemiejahre überwiegend als Sprachrohr der jeweiligen Regierungen agierten und die Gebühren- oder Haushaltsabgabenzahler mit einem pädagogischen Duktus belästigten, den viele von Ihnen nicht leiden können. Und zwar zurecht, wie mir scheint.

THURNHER: Der pädagogische Duktus, wie Sie ihn nennen, stört mich am wenigsten. Der ließe sich bei einer Institution, die das Gespräch einer Gesellschaft mit sich selbst organisiert, wohl kaum vermeiden. Auch die Rolle in der Pandemie würde ich nicht so schnell aburteilen. Dort hat man allerdings gesehen, wo die Defizite des ORF liegen. Man hat zu sehr verlautbart, und zu wenig kritisch berichtet – nämlich auch über jene, die mit Desinformation zu punkten versuchten und mit Seuchenverharmlosung auf Stimmenfang gingen. In einem werden wir uns allerdings schnell einig: die parteipolitische Vereinnahmung des ORF ist das zentrale Übel, aber die datiert nicht von 2015, sondern schon aus den frühen 1970er Jahren.

FLEISCHHACKER: Wenn Sie das Hauptproblem in der Pandemie-Berichterstattung des ORF darin sehen, dass die ORF-Oberlehrer den Abweichlern von der Regierungslinie nicht ausreichend den erhobenen Zeigefinger entgegengestreckt haben, weiß ich zwar nicht, unter welchem Waldviertler Stein sie drei Jahre geschlafen haben, aber geschenkt: Ich hätte zwei Antworten in Sachen größtes Übel. Erstens: Ja, das Problem ist die parteipolitische Vereinnahmung des ORF, und weil sich an der nichts ändern lässt, muss er eigentlich weg. Zweitens: Das Problem ist nicht die parteipolitische Vereinnahmung, sondern die Selbstvereinnahmung eines Journalistenkollektivs, das sich für unverzichtbar und unantastbar hält, weil es sich im Besitz des wahren Wissens und einer höheren Moral wähnt. Wie lange die Mehrheit der Bürger, die das anders sehen, es dabei belassen, sich an den Kopf zu greifen, kann ich schwer sagen.

THURNHER: Lieber Fleischhacker, eines sollten wir uns hier verkneifen, als Mitglieder der Elite: uns auf die Mehrheit der Bürger zu berufen, welche wir zweifelsohne, jeder auf seine Weise, NICHT repräsentieren, und zwar mit Stolz. Denn die Mehrheit der Bevölkerung hat keine Ahnung, wie ihr von den sogenannten Medien, Technokonzernen, Künstliche-Intelligenz-Kommandanten undsoweiter mitgespielt wird. Sie kriegt nicht mit, wie sie unter Vorspiegelung, es sei ihr freier Wille, entmündigt und als Material für Social Engineeing hergerichtet wird, als Material, das nebenbei möglichst viel Profit via Gaming, Wetten, Wisch-Narzissmus, Porno und allerlei sonstige sinnlose Klick-Verblödung abzuliefern hat. Gegen diese Entwicklung, die weit fortgeschritten, aber nicht abgeschlossen ist, sollten öffentlich-rechtliche Medien eine Schranke errichten. Das ginge weit über Rundfunk und Fernsehen hinaus und wäre ihr eigentlicher Sinn.

FLEISCHHACKER: Erstens bin ich mir nicht so sicher wie Sie, dass die Mehrheit der Bevölkerung entscheidend dümmer ist als ich, und zweitens: Einer Gruppe nicht anzugehören, heißt doch wohl nicht, ihre Anliegen nicht ernst zu nehmen, denke ich. Mitarbeiter von öffentlich-rechtlichen Medienanstalten wären da besonders in der Pflicht, weil ja jeder private Veranstalter sich darauf beschränken kann, die ernst zu nehmen und mit dem zu bedienen, was sie gern möchten, die seine Präferenzen und Darstellungsformen teilen. Ihre Idee, dass die Öffentlich-Rechtlichen sich zum Wahrheitsministerium mausern könnten, das gegen die Lügen der Welt vorgeht, finde ich fast ein bisschen herzig, aber auch brandgefährlich, vor allem, wenn ich an die vergangenen Jahre denke. Aber da sind Sie sich wohl mit Ihrem Corona-Idol Christian Drosten einig, der will auch, dass künftig nur noch „autorisierte“ Wissenschaftler öffentlich sprechen dürfen, während gegen Abweichler „Sanktionen“ verhängt werden sollen.

THURNHER: Von „dümmer“ habe ich nicht gesprochen. Ich bin nur nicht so smart zu meinen, ich würde jemanden repräsentieren, nur weil ich eine Meinung habe. Ich weise auch das Wieselwort „Wahrheitsministerium“ zurück. Schon gar nicht habe ich ein „Corona-Idol“ (das diesbezügliche Austro-Idol wäre Herbert Kickl). Bin überhaupt kein Götzenverehrer; meine einschlägige Autorität heißt Robert Zangerle, klinischer an der Uni Innsbruck und vielfacher Beiträger zu meiner Seuchenkolumne. Und ja, Autoritäten sind nicht unbefragbar, haben aber in ihrem Fach einen Wissensvorsprung, den wir Journos nicht hopp-hopp aufholen können. Es geht doch nur um eines: dass die Gesellschaft in einer Zeit, in der die gesellschaftliche Kommunikation total privatisiert und zersplittert ist, sich ein Recht vorbehält, im Sinne der Demokratie eine gewisse Interessenfreiheit dieser Kommunikation zu garantieren. Das soll öffentlich-rechtlich vor allem sein: möglichst interessenfreie Kommunikation.

FLEISCHHACKER: Interessenfrei sind viele Öffentlich-Rechtliche eh schon, sie interessieren sich nämlich überhaupt nicht für ihr Publikum, und dass das immer mehr auf Gegenseitigkeit beruht, kann ich nachvollziehen. Vielleicht müsste man einfach die handelsübliche Diversitätsideologie etwas aufmachen und dafür sorgen, dass nicht nur ausreichend Menschen mit Migrationshintergrund und alle 54 Geschlechter in den Redaktionen vertreten sind, sondern auch ein paar Leute, die eine andere Meinung haben als die regierende Bubble und noch dazu was können.

THURNHER: Nun ja, da werden wir uns wohl nicht mehr einig. Ich möchte zum Schluss nur eines sagen: Wenn solche Debatten, wie wir sie gerade geführt haben, nicht im ORF selbst stattfinden (es müssen ja nicht wir sein), dann gibt er sich selbst preis. Das kann weder im Interesse seiner Idee noch in unserem Interesse sein.