Sonntag, 26. Nov.

Gezählte zwei Teilnehmer bei der Sonntagsmesse; zwei mehr als die Tage davor. In Zeiten des Krieges steht das Pilger-Hospiz leer. Unser Kaffeehaus ist jedoch offen und auch frequentiert. Sechs Wochen nach dem Massaker der Hamas kamen die ersten Israelis wieder in die muslimische Altstadt von Jerusalem. Alles andere als selbstverständlich. Die Stimmung bleibt verhalten, das wechselseitige Misstrauen physisch spürbar. Und dennoch: Es gibt einen Alltag; es muss ihn geben. Um leben zu können, ohne sich zu Tode zu fürchten. Auch wenn er fern scheint, haben wir um Frieden gebetet: für alle Menschen hier.

Montag, 27. Nov.

Letzte Nacht sind die letzten Freiwilligen auch zurückgekehrt; mit einiger Verspätung, doch wohlbehalten. Acht von zehn haben sich zur Fortsetzung ihres Auslandszivildienstes entschieden. Bei zweien ist der Wunsch der Eltern ausschlaggebend. Auch wenn Jerusalem keine Kampfzone ist und Gaza doch weit entfernt – ist die Distanz zwischen Gaza und uns aus der Distanz in Österreich betrachtet wiederum erschreckend klein.

Mit Eltern diskutiert man nicht rational über deren Kinder. Und bräche sich einer ein Bein fern des Krieges würde ich mir auch selber „die Schuld geben“. Das muss jeder für sich entscheiden.

Dienstag, 28. Nov.

Ein Newsletter will geschrieben sein für unsere Freunde in der Heimat. Corona geschuldet bespielen wir vermehrt soziale Netzwerke. „Wenn Jerusalem unerreichbar ist, bringen wir Jerusalem in Ihr Wohnzimmer.“ Mit jedem live-stream-Gottesdienst auf unserer Dachterrasse empfand ich mich zusehends als Pausenclown fürs Patschenkino. Gottesdienst lebt vielmehr aus erfahrener Gemeinschaft.

Heute ist es etwa ein YouTube Kanal mit spirituellen und Bildungsangeboten. Wie kann ich sonst Unterstützung erwarten, wenn wir im Gegensatz dazu „nichts liefern“? Ein leeres Haus bedeutet mehr Arbeit, um Freundschaften zu pflegen.

Mittwoch, 29. Nov.

„Franziskus und der Sultan“, ein Vortrag von Prof. Leppin führt mich ins Paulushaus. 1219 soll Franz von Assisi Sultan al-Malik al-Kamil in Ägypten aufgesucht haben. Dass aus dem Bekehrungsversuch nichts wurde, wissen wir; weitere historische Details schon nicht. Was hängen bleibt, ist lehrreich für unsere Tage: Während andere mit Waffengewalt Gebiete und Gehirne zu vereinnahmen suchten, setzte er auf Dialog und die Macht des stärkeren Arguments. Papst Franziskus erinnert oft an diese Begegnung. Auch wenn uns vieles zur Zeit beängstigen mag: Den Luxus, auf Dialog zu verzichten, haben wir nicht.

Donnerstag, 30. Nov

Stichwort Waffengewalt. Ein Attentat weckt mich. Fünf Verletzte und drei Tote; die 24-jährige Liviya, die 67-jährige Hannah sowie der 73 Jahre alte Rabbi Elimelech. In diesen Minuten die erste Beerdigung. Ist die Waffenruhe dahin? Die Hamas übernimmt die Verantwortung; die Angreifer stammen aus meiner Nachbarschaft. Wir mittendrin, ohne dazuzugehören. Wie macht man das? Das Geschehene verstehen, ohne Verständnis dafür zu haben? Zeitgleich die Nachricht, dass der Tausch Geiseln für Häftlinge hält. Was wird morgen sein? Neue Gewalt oder endlich Waffenstillstand? Dazwischen Interviews: zwischen Attentat und Advent.

Freitag, 1. Dez.

Eine Pilgerherberge lebt aus ihrer Nähe zu den Heiligen Stätten. Jerusalem hat dabei einen besonderen Klang und Rang. Von Kindesbeinen an formt sich eine Bild dieses biblischen Ortes in unserer Phantasie. Was unterscheidet ein kirchliches Gästehaus von einem normalen Hotel? Ein Architekt zum Lokalaugenschein; die Generalsanierung des Altbaus steht an; zuerst die Trockenlegung des Kellergeschosses und ein neuer Speisesaal. Und dafür hat man Theologie studiert. Von Montag bis Samstag der Manager des altehrwürdigen k.u.k. Apfelstrudelkonsulates an der Via Dolorosa, am Sonntag der Geistliche als Bonus.

Samstag, 2. Dez.

Der Vorabend wirkt nach; eine Informationseinheit zur aktuellen Lage in der palästinensischen Westbank. Auch hier schaukelt sich die Spirale der Gewalt in den letzten Wochen hoch und dennoch ist es nicht so schlimm, wie man meinen sollte; angesichts der vielen Toten auf beiden Seiten.

Wie soll ich morgen predigen, ohne banal zu sein? Das Thema am ersten Adventsonntag lautet ja: Bereitet euch vor auf das Kommen des Friedensfürsten. Blanker Hohn! Oder doch stille Hoffnung?

Es ist leicht, aus der Ferne gute Ratschläge für Dritte zu haben. Was tun wir denn zu Hause für den sozialen Frieden?