Wo Adolf Hitler seine pompöse Welthauptstadt „Germania“ errichten wollte, stehen Ruinen. Bomben und Granaten zerfurchten den Boden. Berlin gleicht nach jahrelangen Luftangriffen und den Straßenkämpfen, in denen die Sowjetarmee die Verteidiger niederrang, einer Geisterstadt. Über der rauchenden, nach Verwesung riechenden Kraterlandschaft strahlt an diesem 8. Mai 1945, einem Dienstag, die Sonne. Ein herrlicher Frühlingstag. „Leichte, wie mit Wasserfarben hingetupfte Wölkchen zogen langsam über den Himmel“, notiert der 38-jährige Rotarmist Ilja Kritschewski an diesem 8. Mai nach einem Spaziergang zum Brandenburger Tor in sein Tagebuch. Diktator Adolf Hitler gelang es nicht, mit seiner Wehrmacht die Hauptstadt seines einstigen Partners zu Beginn des Zweiten Weltkrieges, beim Überfall auf Polen 1939, zu erobern. Jetzt haben Stalins Armeen die Hauptstadt des Dritten Reiches eingenommen und üben brutal Vergeltung an der Zivilbevölkerung für die vorangegangene Verwüstung ihres Landes.

Nur noch wenige Stunden dauert dieser Krieg, die Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschland ist schon unterschrieben. In einem desolaten Schulgebäude im französischen Reims, Hauptquartier des US-Oberkommandierenden Dwight Eisenhower, setzte in den frühen Stunden des 7. Mai Generaloberst Alfred Jodl, Chef des Wehrmachtsführungsstabes und über Jahre engster militärischer Berater Hitlers, seine Unterschrift auf die Kapitulationsurkunde.

Fünf Minuten nach Zwölf

Der Diktator hatte über Monate hinweg verleugnet, dass dieser Krieg für ihn verloren war, hatte sich geweigert zu kapitulieren, stattdessen seine Paladine vom Endsieg schwafeln lassen. Am 30. April, kurz vor dem Eindringen der Sowjetsoldaten in das Regierungsviertel von Berlin, flüchtete Hitler in den Tiefen seines Bunkers in den Selbstmord. „Ich höre grundsätzlich immer erst fünf Minuten nach zwölf auf“, hatte er einst geprahlt.

Es ist fünf nach zwölf. Seine Nachfolge regelte Hitler per Testament. Propagandaminister Joseph Goebbels ist als neuer Reichskanzler vorgesehen. Der folgte aber seinem Führer einen Tag später in den Tod, mit seiner Frau Magda. Die sechs Kinder im Alter zwischen vier und 13 Jahren, jedes trug einen Vornamen mit H, wurden zuvor vergiftet. Als seinen Nachfolger als Staatsoberhaupt, als Reichspräsidenten erkor Hitler den Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Großadmiral Karl Dönitz. Stets ein getreuer Gefolgsmann, dieser vormalige Befehlshaber der Unterseeboote (bis 1943), der beide Söhne, auch Offiziere der Kriegsmarine, in diesem Krieg verlor. Von Hitler schon vorher zum Befehlshaber der Wehrmacht im Norden ernannt, trat der Großadmiral an die Spitze des zerbröckelten Reiches und ernannte noch eine neue Reichsregierung, die in Flensburg amtierte. Das verbliebene Reich war überschaubar. Ein schmaler Streif durch Deutschland. Die deutschen Truppen in Dänemark, den Niederlanden kapitulierten, die deutschen Streitkräfte in Norditalien streckten mit 2. Mai die Waffen. In Wien etablierte sich am 27. April eine neue Regierung, rief die Unabhängigkeit Österreichs aus, wenngleich sich noch Teile des Landes in der Hand des Nazi-Regimes befanden.

Kapitualtion und Konkursverwaltung

Das Großdeutsche Reich der Nationalsozialisten zerbricht, ist zerbrochen. Der provisorischen Regierung Dönitz bleibt bloß die Konkursverwaltung. Und die bedingungslose Kapitulation.

Den Versuch, mit den westlichen Alliierten zu verhandeln, gegen die Russen jedoch weiterzukämpfen, schmettert Eisenhower ab. Die Waffen sollen am 8. Mai eine Minute nach 23 Uhr an allen Fronten schweigen. Der Krieg in Europa, begonnen am 1. September 1939, sein Ende finden.

Genau an diesem 8. Mai beseitigt in Österreich die provisorische Staatsregierung unter Karl Renner die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei. Per Verfassungsgesetz werden die Partei und ihre Organisationen aufgelöst und verboten. Außerdem bestimmt dieses Gesetz die Registrierung aller Mitglieder der nationalsozialistischen Partei und ihrer Verbände, Zwangsentlassungen, Berufsverbote und Zwangsarbeit für schwer belastete Nazis. Volksgerichte sollen braune Verbrecher aburteilen.

Währenddessen reicht Kreml-Diktator Josef Stalin die Kapitulation in Reims nicht. Er verlangt eine formelle Kapitulation auch im Hauptquartier der Roten Armee in Berlin-Karlshorst. Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, ob seiner unterwürfigen Willfährigkeit gegenüber Hitler „Lakeitel“ genannt, unterfertigt dort am 9. Mai um 0.16 Uhr das Dokument, abgefasst in Russisch, Englisch und Deutsch. Dazu legt er den Marschallstab neben sich, klemmt ein Monokel vor das Auge, zieht die ledernen, grauen Handschuhe aus. Sowjetmarschall Georgi Schukow vergewissert sich, dass die Deutschen den Inhalt verstanden haben. Nach der schaurigen Zeremonie laden die Russen zum Essen ein. Das Dessert beeindruckt Keitel, er hält danach schriftlich fest: „Zum Schluss gab es gefrorene, frische Erdbeeren, die ich zum ersten Mal in meinem Leben vorgesetzt erhalten hatte.“

Der letzte Bericht

Das Oberkommando der Wehrmacht veröffentlicht am 9. Mai seinen letzten Bericht: „Damit ist das fast sechsjährige Ringen zu Ende. Es hat uns große Siege, aber auch schwere Niederlagen gebracht. Die deutsche Wehrmacht ist am Ende einer gewaltigen Übermacht ehrenvoll unterlegen.“ Das Wort „ehrenvoll“ wird verblassen, je mehr bekannt wird, wie die Wehrmacht an den Verbrechen im Krieg beteiligt war.

Zwölf Jahre zuvor, im Februar 1933, beschwor der erst wenige Tage zuvor zum Reichskanzler ernannte Adolf Hitler im Berliner Sportpalast „sein“ Volk: „Gib uns vier Jahre Zeit, dann urteile und richte über uns.“ Es war der Beginn eines Regimes, mit dem über Europa die Finsternis und Kriegsgeschrei hereinbrachen, die mit 8. Mai 1945 jetzt langsam wieder weichen.

Im Pazifik dauert der Krieg noch an, das Kaiserreich Japan, Bündnispartner des Deutschen Reiches, will nicht aufgeben. Erst der Abwurf der ersten Atombomben über Hiroshima und Nagasaki wird diesen Zweiten Weltkrieg am 2. September 1945 endgültig beenden. Mindestens 55 Millionen Menschen verloren in dem Krieg ihr Leben, die meisten davon Zivilisten.