"Man hat uns gesagt, man warte mit der Erschießung meiner Schwester und meiner Mutter, bis ich transportfähig war": Elisabeth Scheiderbauer erinnert sich nur noch bruchstückhaft an die Zeit nach der Verhaftung ihres Vaters im Jahr 1938. Die Mutter musste die beiden Töchter plötzlich alleine durchbringen. Die Familie verlor ihre Wohnung, wurde von einer Unterkunft zur nächsten geschickt, immer wieder vertrieben. Es muss kurze Zeit später gewesen sein, dass Scheiderbauer – damals noch ein junges Mädchen – an Scharlach erkrankte und ins Spital gebracht wurde.

Nach der Genesung wurden sie, ihre Mutter und ihre Schwester in einem vollkommen überfüllten Zug ins KZ Theresienstadt deportiert. Auf dem Weg dorthin bat ihre Mutter sie, ein Abendgebet zu sprechen: "Ich habe in dem jungen Alter schon gesagt: 'Mama, es gibt keinen lieben Gott, sonst würden wir jetzt nicht auf unser Todesurteil warten.'"

Gegen das Vergessen: Gedenkinitiative "Zikaron BaSalon"

Die Sechstklässlerinnen und -klässler des Stifts Admont hören den Worten der Holocaustüberlebenden gebannt zu. Das Aufeinandertreffen mit den beiden Zeitzeugen Elisabeth Scheiderbauer und Dirk Adler verdanken sie der israelischen Gedenkinitiative "Zikaron BaSalon" (Deutsch: "Wohnzimmer der Erinnerung"). Ein Projekt, bei dem es darum geht, Überlebende der Shoah zu sich nach Hause einzuladen und ihre Geschichte zu hören. Heuer wurde es von Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka mit dem Simon-Wiesenthal-Preis ausgezeichnet.

"Wir haben leider immer weniger Zeitzeugen", erklärt der israelische Botschafter Mordechai Rodgold. "Es ist wichtig, die Geschichte, das Gedenken an die jüngeren Generationen weiterzugeben." Daher habe er das Projekt in Wien initiiert.

Die beiden sechsten Klassen des Stifts Admont sind der Einladung gerne gefolgt. "Der Botschafter war vergangenen Sommer in Admont zu Besuch. Da kam die Idee auf, etwas für die Jugend zu tun", erzählt Religionslehrer Pater Johannes Aichinger. Er hat die beiden Schulklassen mit einer weiteren Lehrkraft nach Wien begleitet.

Holocaustüberlebende berichten

Für Elisabeth Scheiderbauer war die Zeit im Konzentrationslager geprägt von Angst. Im Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern erinnert die Holocaustüberlende sich an einen Tag kurz vor Kriegsende zurück: "Das ganze Lager wurde auf ein Feld hinaus getrieben. Die SS ist dann mit Motorrädern an uns vorbeigefahren. Wir waren sicher, dass sie uns jetzt erschießen." 

Aber sie hatten Glück und überlebten. Auch der Vater überstand die Torturen der Nazis. 1945 kehrte er, der nach seiner Verhaftung zuerst nach Buchenwald, dann nach Auschwitz deportiert wurde, nach Wien zurück. "Sieben Jahre waren vergangen, seit ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Ich hatte plötzlich einen fremden Mann als Vater." Trotz der Kriegstraumata habe Scheiderbauer sich rückblickend keine besseren Eltern vorstellen können. "Ich hatte immer das Gefühl, dass sie in jeder Situation zu mir standen, wenn sie es konnten. Das war wichtig für mich."

Dirk Adler überlebte versteckt

Erinnerungen an seine leiblichen Eltern hat Dirk Adler nur wenige. Er wurde 1940 in Amsterdam geboren. Seine Eltern wurden 1942 in Auschwitz ermordet, auch er war auf der Liste für den Transport in das Konzentrations- und Vernichtungslager. Er überlebte, weil er bei einer anderen Familie versteckt werden konnte. Nach dem Krieg lebte er bei Verwandten in London, später in Israel und Bogota. 

Dirk Adler und Elisabeth Scheiderbauer engagieren sich beide als Zeitzeugen. Damit dieses dunkle Kapitel der Geschichte niemals in Vergessenheit gerät, sprechen sie immer wieder mit Schülerinnen und Schülern über ihre Erlebnisse. 

Shoah-Überlebende: Botschaft an nachfolgenden Generationen

Auf die Frage einer Schülerin hin, was Elisabeth Scheiderbauer jüngeren Generation mit auf den Weg geben möchte, antwortet sie: "Man soll niemals die Hoffnung aufgeben. Ich bin trotz aller Widrigkeiten so eine zufriedene Person geworden, weil ich entschieden habe, nicht mehr unglücklich zu sein." Wenn sie etwas nicht mehr gefreut habe, habe sie etwas Neues begonnen. An die Jugendlichen appelliert sie: "Wenn ich das schaffe, dann schafft ihr das auch." 

Dirk Adler wünscht sich von der Jugend Interesse für die Materie, fordert aber auch dazu auf, aufmerksam zu sein. Es gebe viel Literatur, aber auch "viel falsche Literatur". Hier gelte es, Gutes und Schlechtes auseinanderzuhalten. Er sagt: "Meine Bitte ist: Bevor man ein Urteil fällt, sollte nachgedacht werden und gefragt werden. Wenn mir jemand eine Frage stellt oder anruft, bin ich gerne bereit, eine Antwort zu geben."

Prägende Erfahrung für Schülerinnen und Schüler

Tamina Hütter, Schülerin am Stift Admont, hat das Gespräch mit den Zeitzeugen nachhaltig beeindruckt: "Wir haben die Personen hinter der Geschichte kennengelernt. Jene, die das alles erlebt haben, die wirklich mittendrin waren", so die 16-Jährige. "Trotz ihrer schwierigen Kindheit hatten sie ein schönes und erfülltes Leben."

Dem schließt sich auch René Straßen (17) an: "Wir haben sehr interessante Persönlichkeiten mit einer belebten Geschichte kennenlernen dürfen." Sein Mitschüler Florian Hinteregger (15) ist überzeugt, dass er sich noch lange an diesen besonderen Nachmittag zurückerinnern wird.

Die Schülerinnen und Schüler des Stifts Admonts hören Elisabeth Scheiderbauer gebannt zu
Die Schülerinnen und Schüler des Stifts Admonts hören Elisabeth Scheiderbauer gebannt zu © Herrmann

Als Zeichen ihrer Dankbarkeit überreichten die Schülerinnen und Schüler Elisabeth Scheiderbauer und Dirk Adler zum Abschied ein Zertifikat der Anerkennung: "Danke, dass Sie Ihre Geschichte mit uns geteilt haben. Es war uns eine Ehre, Sie bei diesem bedeutsamen Ereignis dabei zu haben."