Fast andächtig stehen sie da, die ein wenig altmodisch anmutenden Häferl, Kannen und Vasen, die nur wenige Sekunden später von Kollegin Barbara Haas mit einem lilafarbenen Alu-Baseballschläger zertrümmert werden. Ein besonders verschnörkeltes Exemplar mit der Aufschrift "Wenig aber vom Herzen" trifft es als Erstes, die Scherben fliegen rechts und links vorbei. Im Hintergrund schallt Andreas Gabaliers "Hulapalu" aus den Boxen. 

Wutraum in Wien: Stressabbau mal anders

Erst vor wenigen Wochen haben Patrick Schalk und seine Frau Sylvie Schalk-Nador ihren Wutraum im dritten Wiener Gemeindebezirk eröffnet, direkt am Landstraßer Gürtel gelegen. LKW und Autos ziehen geräuschvoll vorbei. Besonders Instagram-tauglich ist es hier nicht, muss es aber auch nicht – schließlich kommt man her, um den aufgestauten Grant der letzten Wochen rauszulassen. 

Zwei Jahre haben die Schalks am Konzept für den eigenen Wutraum getüftelt. "Im ersten Lockdown haben wir von einem ehemaligen Häftling gelesen, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, ein Ventil für die in der Gesellschaft aufgestaute Wut bereitzustellen und in Helsinki einen Wutraum aufgemacht hat." Schalk und seine Frau sind begeistert, beginnen zu recherchieren. "Wir dachten: 'Okay, in vier, fünf Monaten werden wir das haben'. Jetzt, zwei Jahre später, haben wir die Genehmigung", erinnert der sich der 30-Jährige lachend zurück.

Wutraum-Inhaber Patrick Schalk mit einem der beliebtesten "Werkzeuge", dem lilafarbenen Baseball-Schläger
Wutraum-Inhaber Patrick Schalk mit einem der beliebtesten "Werkzeuge", dem lilafarbenen Baseball-Schläger © Claire Herrmann

Frauen als Hauptkundschaft des Wutraums

Anfangs habe Schalk damit gerechnet, dass das Konzept Wutraum hauptsächlich gestresste Managerinnen und Manager anspreche. Das habe sich bislang allerdings nicht bewahrheitet. Was sich aber sagen lässt: "Es sind meistens Frauen, die vorbeikommen – meist zu zweit, selten alleine. Männer hatten wir aber natürlich auch schon hier." 

Dass es besonders Frauen sind, die den Wutraum aufsuchen, verwundert Verena Mooshammer nicht. Sie forscht an der Pädagogischen Hochschule Steiermark zur Emotion Wut. Viele Frauen würden sonst eher defensiv reagieren, seien oftmals so sozialisiert. Wenn der Raum dazu genutzt werde, Wut rauszulassen, könne sie sich gut vorstellen, dass ein solches Angebot bewusst genutzt werde. 

Verena Mooshammer forscht an der Pädagogischen Hochschule Steiermark zur Emotion Wut
Verena Mooshammer forscht an der Pädagogischen Hochschule Steiermark zur Emotion Wut © Elisa Wohlhart-PPH-Augustinum

Aber wie hilfreich ist so ein Wutraum-Besuch? "Das Zerstören von Dingen kann natürlich kurzfristige Erleichterung schaffen", erklärt Mooshammer. "Aber Wut kann ja außer zum unkontrollierten Abreagieren auch noch anders gelenkt werden, da hat die Psychologie sehr wirksame Antworten." Sie empfiehlt daher, Strategien zu erarbeiten, um mit der Wut umgehen zu lernen. Als Emotionsregulationsstrategie würden sich zum Beispiel Atemtechniken oder Körperübungen anbieten, mit denen man sich beruhigen kann. 

"Einmal wüten bitte": 75 Euro für 45 Minuten

Im Wiener Wutraum kann man unterdessen zwischen verschiedenen Szenarien zum Abreagieren wählen: Zur Auswahl steht die "Haushaltstrümmerei", bei der das eingangs erwähnte Geschirr zertrümmert werden darf, das Möbel-Zerkleinerungsprogramm "Tischlein, streck dich" oder die Voodoo-Puppe, der man um 85 Euro einer "Stricknadelakupunktur" unterziehen kann.

Letztere wurde dem Wiener mit steirischen Wurzeln zufolge bisher zwar noch nicht gebucht, sorge aber immer wieder für Gesprächsstoff. Kassenschlager sei ohnehin die "Haushaltstrümmerei". Auch bei den Werkzeugen hätten sich bereits Favoriten herauskristallisiert: der Baseball- und der Golfschläger.

Nicht Wiens erster Wutraum

Der Erste mit der Wutraum-Idee ist Schalk übrigens nicht. 2019 hatte schon einmal ein Wutraum in Wien eröffnet, der kurze Zeit später allerdings schon wieder zusperren musste. Der Grund: Es hätte damals spezieller Abfallentsorgungs-Bewilligungen bedurft. Schalk jedenfalls – er stammt ursprünglich aus der Tourismus-Branche – wollte es besser machen und hat einen Kurs zum abfallrechtlichen Geschäftsführer absolviert.

Auf die Frage hin, ob das Zertrümmern noch funktionsfähiger Dinge nicht Ressourcenverschwendung sei, sagt der 30-Jährige: "Wir sind darauf bedacht, nicht fabrikneue Gegenstände herzunehmen. Wir nutzen solche, die zwar funktionstüchtig sind, denen aber nicht mehr so viel Liebe entgegengebracht wird." Man habe ein eigenes Abfallkonzept entwickelt, biete nur reinsortige Pakete an: "Es gibt entweder Glas, Keramik oder Möbel, sodass wir wirklich alle Segmente so gut wie möglich recyceln können." Auf Elektrogeräte verzichte man bewusst.

© Claire Herrmann

Nach dem Wüten ist vor dem Aufräumen

Wenn die Kunden nach dem Wüten das Chaos hinter sich lassen, geht es für Patrick Schalk ans Zusammenräumen: "Ich bin mittlerweile Aufräummeister. Das sind zwischen fünf und zehn Minuten Arbeitszeit." Wenn ihn selbst die Wut überkomme, reagiere der 30-Jährige sich übrigens beim Aufräumen ab – oder er geht joggen.