Video-Umfrage: Sollen Frauen verpflichtend zum Heer?
Pro von Carina Kerschbaumer, Mitglied der Chefredaktion der Kleinen Zeitung
Die Appelle vom Frauentag klingen noch nach. Wie jener Aufruf, alte Rollenbilder abzulegen. Was da wohl nicht gemeint war: die Wehrpflicht. Gendergerecht? Absolut nicht. Also Wehr- oder Zivildienstpflicht auch für Frauen?
Da stellt sich zunächst die Grundsatzfrage, ob eine Berufsarmee nicht professioneller agieren könnte. Oder ein Nato-Beitritt überlegenswert wäre. Die meisten Mitgliedsländer der Nato haben keine Wehrpflicht (mehr). Und überhaupt: Unser aller Traum ist ohnehin ein Europa ohne Armeen, Panzer, Wehrpflicht. Ein Traum, den aber wohl selbst die größten Illusionisten unter den Pazifisten und Pazifistinnen am 24. 2. 2022 begraben mussten.
Abseits dieser Fragen: Warum soll eine Wehrpflicht mit der Möglichkeit des Zivildienstes im Jahr 2023 noch vom Geschlecht abhängen? Weil das alte Rollenbild von der schwachen, schutzbedürftigen Frau herumspukt? Weil sich frau die traditionellste aller Rollen als Maßstab für jedes geglückte Frauenleben überstülpen lässt? Also die fürsorgliche Mutterrolle, zu der kein Maschinengewehr passt. Als ob nicht Frauen in Israel seit 1948 oder auch in Norwegen beweisen, dass die Wehrpflicht für beide Geschlechter funktioniert.
Eines müssten wir jedenfalls zähneknirschend akzeptieren: Die Ungleichbehandlung bei der Wehrpflicht ist, wie der Verfassungsrechtler Heinz Mayer betont, nicht mehr zu rechtfertigen. Warten wir also ab, bis der erste Grundwehrdiener den Gang zum Verfassungsgerichtshof wählen wird. Bis dahin wissen wir: Gleichheitsgrundsatz hin oder her – keine Regierung wird eine allgemeine Wehrpflicht einführen. Keine Regierung begeht freiwillig politisch Selbstmord.
Was bislang gegen eine allgemeine Wehrpflicht sprach? Dass Frauen ohnehin bereits den Großteil der unbezahlten Care-Arbeit leisten und unzählige Benachteiligungen daraus haben. Aber was hat die Welt der 30- bis 80-Jährigen mit jener der heute 18-Jährigen zu tun? Sie ticken anders, wehren sich anders, werden anders leben als heute 40-Jährige.
Eine allgemeine Wehrpflicht setzt aber eines voraus: ein striktes Quotensystem als Krücke, um jene kritische weibliche Masse in Führungsebenen zu erreichen, die nötig ist, um eine Unternehmenskultur für beide Geschlechter zu schaffen. Und Worte wie "Tittenbonus" – wie eine Soldatin erzählte – in jene Schublade zu verfrachten, in die sie gehören. Und es muss für eines gesorgt sein: dass der Wehrdienst als sinnvoll verbrachte Zeit empfunden wird. Oder der Zivildienst. Immerhin haben 58 Prozent von 24.000 befragten 16- bis 25-Jährigen erklärt, "auf keinen Fall" Österreich verteidigen zu wollen.
Lieber flüchten als sterben, lieber leben als beerdigt werden? Abseits aller Genderfragen: Wer könnte diese Wahl 20-Jährigen zum Vorwurf machen!
Kontra von Wilfried Rombold, Redakteur der Kleinen Zeitung
Zugegeben, die Idee einer "allgemeinen Wehrpflicht" im engeren Sinn hat schon Charme. Denn eigentlich müsste an jenem Tag, an dem alle jungen Österreicherinnen und Österreicher zum Dienst an der Waffe oder an der Allgemeinheit gerufen werden, der Kampf um die völlige Gleichstellung hierzulande für beendet erklärt werden. Ein Freudentag!
Bleiben wir bei dieser Vorstellung einer idealisierten Gesellschaft, dann ist die Lücke zwischen den Einkommen von Frauen und Männern geschlossen, der akute Mangel an Pflegekräften und Elementarpädagoginnen Geschichte und überhaupt werden die Kleinsten von der Krabbelstube bis zum Volksschulalter fürsorglich und professionell betreut, wenn ihre Mütter Vollzeit arbeiten und gut verdienen.
Doch auf der schiefen Ebene des Hier und Jetzt brauchen wir über das mehrmonatige Herausreißen junger Frauen aus ihrem Ausbildungs- und Berufsleben gar nicht erst nachdenken. Seit den – teils bizarr geführten – Diskussionen im Vorfeld der Wehrpflicht-Volksbefragung 2013 hat auch keine Politikerin, kein Politiker von Rang danach gerufen. Warum wohl? Weil diese Republik ganz andere Probleme zu lösen hat.
So weit die gesellschafts- und sozialpolitische Perspektive. Es gibt aber auch die Frage nach dem Nutzen. Was hätte das Bundesheer davon, wenn ihm mit einem Schlag doppelt so viele Wehrpflichtige in den Schoß fielen? Etwas mehr als 16.000 junge Männer rückten zuletzt Jahr für Jahr in die heimischen Kasernen ein. Nur etwa 1500 von ihnen verließen sie nach sechs Monaten wieder mit einer vollständigen Ausbildung in ihrer Waffengattung. Und nicht einmal 700 Rekruten haben sich 2022 dazu entschieden, das Erlernte in freiwilligen Milizübungen regelmäßig zu festigen. Mehr als 90 Prozent der Grundwehrdiener verabschieden sich hingegen nach dem Abrüsten mit einem "Habt’s mich gern!" für immer vom Bundesheer. Solange dieses System derart ineffizient mit den ihm anvertrauten Burschen umgeht, besteht keine Notwendigkeit, dass man ihm auch noch den weiblichen Teil der jungen Bevölkerung zuführt. Und nein, das soll nicht als Argument für ein reines Berufsheer dienen. Vom Design her passt die Mischform Grundwehrdiener/Berufskader/Miliz für dieses Land ganz gut.
Für den Zivildienst gelten freilich andere Voraussetzungen. Doch auch die Trägerorganisationen im Rettungs- und Sozialwesen sollten danach trachten, motivierte und gut ausgebildete Mitarbeiterinnen zu gewinnen als solche, die ihnen per Bescheid zugeteilt werden.
Klar ist: Deutlich mehr Soldatinnen als die derzeit 645 in seinen Reihen (Anteil 4,2 Prozent) würden dem Bundesheer definitiv guttun. Dazu muss es aber als Arbeitgeber für Frauen noch attraktiver werden als bisher.