Vor dem Auftakt der Herbstlohnrunde kommende Woche konnte der Gewerkschaftsbund ÖGB am Samstag laut eigenen Angaben österreichweit 32.000 Menschen zu Demonstrationen gegen die Teuerung mobilisieren. Inoffizielle Polizeizahlen ergaben nur 12.000. Die mit Abstand größte Demonstration war jene in Wien, zu der bei unwirtlichem Wetter laut Veranstaltern rund 20.000 Menschen kamen. Gefordert wurden höhere Löhne, Maßnahmen gegen die Inflation sowie eine Übergewinnsteuer.

Die Konzerne würden nicht warten, wenn die Menschen ihre Rechnungen nicht bezahlen, sagte AK-Präsidentin Renate Anderl bei der Abschlusskundgebung am Wiener Karlsplatz. Deshalb müsse die Regierung jetzt handeln. "Nehmen Sie das Geld dort, wo es sprudelt", appellierte sie in Richtung Regierung und forderte, Übergewinne zu besteuern.

"Rollende Inflation"

"Kein Abschluss unter der rollierenden Inflation", gab ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian dann die Devise für die anstehenden KV-Verhandlungen aus. Er fordert weiters eine Wärmepaket für den Winter, inklusive Gaspreisdeckelung. Zudem dürften Mieten nicht weiter erhöht werden und das Merit-Order-Prinzip an den europäischen Strombörsen müsse ausgesetzt werden.

Bereits vor dem Start der Demonstration wurde nicht mit Kritik an der Regierung gespart. Diese habe Vorschläge der Gewerkschaften, wie die Teuerung bekämpft werden kann, immer wieder ignoriert, kritisierte Ingrid Reischl, Leitende Sekretärin des ÖGB. Mit Blick auf die letzten Jahrzehnte forderte sie einen Stopp der Liberalisierung.

Riesige Übergewinne

Der Vorsitzende der Gewerkschaft Younion, Christian Meidlinger, meinte dann, dass Konzerne zum Teil riesige Übergewinne erwirtschaften, während viele Menschen sich das Leben nicht mehr leisten könnten. "Das ist eine Sauerei, die gehört abgeschafft", so Meidlinger, der ein Aussetzen der Mehrwertsteuer sowie das Einsetzen einer Preiskommission forderte.

Der Pensionistenverband nahm heute erneut aktiv an der Demonstration teil, ebenso wie die SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner. Auch diverse Abgeordnete der SPÖ hatten sich angekündigt. Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) unterstützte die Proteste ausdrücklich.

Rechtsextreme und Corona-Leugner

Angekündigt bei den Demonstrationen hatten sich auch Rechtsextreme bzw. Corona-Leugner sowie Vertreter aus der autonomen Szene. Vor allem von den rechtsradikalen Gruppierungen hat sich der ÖGB im Vorfeld deutlich distanziert und eine enge Kooperation mit der Exekutive betont. Zwischenfälle auf oder am Rande der Veranstaltung konnten nicht beobachtet werden. Rechtsextreme oder Corona-Leugner traten zumindest nicht öffentlich erkennbar in Erscheinung.

Die Polizei konstatierte in einer Aussendung, dass es zu keinen nennenswerten Vorfällen gekommen sei. Vom "schwarzen Block" wurde bei der Karlskirche ein Transparent ("Klassenkampf statt Sozialpartnerschaft") angebracht.

Unterstützung von Van der Bellen

Der ÖGB bekam unmittelbar vor Beginn der Großdemonstrationen Unterstützung von höchster politischer Stelle. Bundespräsident Alexander Van der Bellen teilte auf Twitter mit, dass er die Anliegen der Kundgebungen unterstütze. Die grassierende Teuerung und ihre Folgen setzten gerade viele Arbeitnehmer "massiv unter Druck", betonte der Bundespräsident: "So wie wir als Gemeinschaft regulierend in die Energiepreise eingreifen, müssen wir auch eine soziale Absicherung gegen die Teuerung schaffen".

Er werde sich weiter mit voller Kraft dafür einsetzen, dass die Gemeinschaft solidarisch handle und niemanden zurücklasse: "Diese Solidarität darf nicht nur im Herzen spürbar sein, sondern vor allem im Geldbörsel jener, die sich am Ende des Monats fragen, wie sie ihren Einkauf zahlen sollen." Die FPÖ warf dem Staatsoberhaupt per Aussendung Heuchelei vor.

Termin nicht zufälllig gewählt

Der Termin für die Großkundgebungen war nicht zufällig gewählt, startet doch kommende Woche die Herbstlohnrunde. Die Kundgebungen fanden außer in der Steiermark überall in der jeweiligen Landeshauptstadt statt.

Der PRO-GE- und FSG-Vorsitzende Rainer Wimmer trat in Linz auf, GPA-Chefin Barbara Teiber in St. Pölten, Bau/Holz-Chef Josef Muchitsch in Bruck/Mur. Keinen Auftritt hatte der Chef der Christdemokraten und Vorsitzende der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Norbert Schnedl. Die Demo werde aber von allen Fraktionen in der Gewerkschaft unterstützt, betonte der ÖGB. Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) hatte in den Samstag-Ausgaben von "Kurier" und "Presse" sein Unverständnis gegenüber den Protesten geäußert.

Ziel laut Veranstalter erreicht

Im Vorfeld war der ÖGB eher unbestimmt von zehntausenden Teilnehmern ausgegangen. Dieses Ziel wurde zumindest laut eigenen Angaben erreicht. Die Polizei verzichtete zumindest offiziell - eher unüblich - auf eine eigene Schätzung. Die Gewerkschaft meldete in Wien den größten Zulauf mit 20.000 Personen, dahinter folgten demnach Linz mit 3.750 und St. Pölten mit 2.500. Zum Vergleich: 2018 waren bei einer Demonstration des ÖGB gegen ein neues Arbeitszeit-Modell nach Eigenangaben 100.000 Menschen erschienen. Damals wurde die Aktion allerdings in Wien zusammengezogen und es herrschte deutlich besseres Wetter.

Laut einem der APA vorliegenden Einsatzbericht der Exekutive wurden in Wien deutlich weniger Teilnehmer gezählt, nämlich nur zwischen 4.000 und 4.500. Auch in St. Pölten waren es demnach mit 1.500 deutlich weniger, als die Veranstalter sahen.