In den vergangenen Wochen haben Klimaforscherinnen und Klimaforscher weltweit zu zivilem Ungehorsam aufgerufen und sich auch selbst an Protesten gegen die Klimapolitik beteiligt. Für den Politologen Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der Boku Wien, handelt es sich um eine "relativ neues Phänomen", wie er der APA sagte. Eine Rolle gespielt hat dabei auch die Rede von UN-Generalsekretär António Guterres Anfang April bei der Vorstellung des jüngsten IPCC-Berichts.
"Es gab zwar schon früher kleinere Bewegungen und einzelne Aktionen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, als globale Bewegung mit Aufsehen erregenden Aktionen ist das aber neu", so Steurer. Für ihn sei der Protest auch nicht weiter verwunderlich. Die Forscher würden aktiv, "weil gerade sie genau wissen, dass die Klimakrise mittlerweile weiter in einen Klimanotstand eskaliert ist", die politischen Reaktionen aber nach wie vor höchst unzulänglich seien.
Emotionaler Auftritt
Einer der bekanntesten Demonstranten der vergangenen Wochen war der Nasa-Klimawissenschaftler Peter Kalmus. Am Mittwoch, dem 6. April, fesselte er sich gemeinsam mit anderen Wissenschaftlern an die Eingangstüren der US-Bank JP Morgan Chase in Los Angeles, weil das Geldhaus neue fossile Projekte finanziert. Die Verhaftung nahm er in Kauf. "Ich bin bereit, ein Risiko für diesen großartigen Planeten einzugehen." Als er sagt, er tue das für seine beiden Söhne, bricht ihm die Stimme.
Zwei Tage zuvor hatte UN-Chef Guterres in einer Brandrede zu einer Art Revolution aufgerufen. "Wir stehen in der Schuld junger Menschen, der Zivilgesellschaft und indigener Gemeinschaften, die Alarm geschlagen und die Politiker zur Verantwortung gezogen haben. Wir müssen auf ihrer Arbeit aufbauen, um eine Graswurzelbewegung zu gründen, die nicht ignoriert werden kann."
Für Steurer sei Guterres "einer der wenigen Politiker, der die Warnungen der Wissenschaft ernst nimmt und in eigene Worte fast". Guterres' Aufruf zum Widerstand dürfte den Protesten zusätzlichen Schwung verliehen haben: "Natürlich bestärkt und legitimiert er damit jene Teile der Klimabewegung, die sich nicht mehr mit offenbar zu wenig wirksamen Stellungnahmen und Demonstrationen begnügen", so Steurer.
Ziviler Widerstand
Wie Steurer erklärt, ist Kalmus Teil einer globalen Bewegung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich dem zivilen Widerstand verschrieben haben. Diese Bewegung gebe es bereits seit September 2020, sei aber erst 2022 aufgrund der IPCC-Berichte und der global vernichtenden Bilanz der Klimapolitik lautstark in Erscheinung getreten. An dieser Bewegung würden sich Tausende Forscher aller Karrierestufen, von Doktoratsstudierenden bis hin zu erfahrenen Wissenschaftlern, beteiligen.
Für Steurer handelt es sich bei den Protesten "um eine angemessene Notwehrreaktion von jenen, die schon heute wissen, wie groß die Katastrophe in wenigen Jahren werden wird, wenn sich unser Kurs nicht grundlegend ändert. Da geht es dann nicht nur um Dürren und Überschwemmungen, sondern um Millionen Tote durch Hitze und Ernteausfälle".
Proteste noch heftiger
Der Wiener Politikwissenschaftler erwartet, dass die Proteste noch heftiger werden. "Man muss kein Hellseher sein, um zu sehen, dass sich der Klimanotstand weiter zuspitze und politische Reaktionen darauf unangemessen bleiben werden. Solange das so ist, werden sämtliche Formen des Widerstands weiter zunehmen."
Steuer kann den Aktionen etwas Positives abgewinnen. "Das ist ein gutes Zeichen, denn solange sich jene, die am meisten über den Klimanotstand wissen, mit hohem persönlichem Einsatz dagegen stellen und dafür sogar ihre berufliche Laufbahn riskieren, haben sie noch nicht aufgegeben."