In gewisser Regelmäßigkeit werden in Österreich auch gut integrierte Kinder oder Jugendliche abgeschoben, und ebenso regelmäßig folgt Kritik an dieser Praxis. Diese Woche musste der 13 Jahre alte Husein Salimov gemeinsam mit seinen Eltern die Reise nach Aserbaidschan antreten. Ein Land, das er nur noch aus fernen Kindheitserinnerungen kennt. Denn Husein war seit fast sechs Jahren in Österreich, spricht fließend Deutsch und war gut integriert.

"Unsere Bemühungen waren umsonst", klagt Walter Windischbauer, Vizepräsident des Tischtennisvereins UTTC Salzburg, in den Salzburger Nachrichten. Husein habe als Nachwuchshoffnung gegolten. Beim Verein  hatte man sich für den Verbleib des Buben eingesetzt. Im Jahr 2016 stellte die Familie Salimov einen Antrag auf internationalen Schutz im Rahmen des Asylgesetzes. Seit 2017 bewohnten Husein und seine Eltern das Quartier der Grundversorgung in der Salzburger Alpenstraße. In diesem Jahr wurde auch der Asylantrag vom Bundesverwaltungsgericht erstmals abgelehnt. Diese Entscheidung wurde später mehrfach bestätigt. 

Die Familie hatte aber erst vergangenen Samstag den negativen Asylbescheid erhalten, am Dienstag wurde sie bereits in den Flieger nach Aserbaidschan gesetzt.

Herkunftsland ist oft keine Heimat

Elisabeth Schaffelhofer-Garcia Marquez koordiniert das Netzwerk Kinderrechte Österreich in Wien, ist seit vielen Jahren mit dem Thema vertraut und spart auch jetzt nicht mit Kritik. Sie sagt: "Die Eltern kehren vielleicht in ihre Heimat zurück, das Kind nicht." Denn häufig haben Kinder, die seit Jahren in Österreich leben und sozialisiert werden, keinen Bezug zum Herkunftsland der Eltern. Deshalb fordert sie, dass man bei so jungen Menschen besonders genau hinsieht. "Flüchtlingskinder sind häufig ohnehin schon traumatisiert. Reißt man sie erneut aus ihrem Alltag, ist die Gefahr eines neuerlichen Traumas groß", betont die Expertin. Besonders, wenn Lebensstandard, Bildungsqualität oder vielleicht sogar die Sicherheit bedroht seien.

Auch wenn die Abschiebung rechtlich in Ordnung ist, habe man sich nicht an die Empfehlungen der Kindeswohl-Kommission gehalten, kritisiert Schaffelhofer-Garcia Marquez. Das Gremium unter der früheren OGH-Präsidentin Irmgard Griss war von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) nach der umstrittenen Abschiebung von Schülerinnen nach Georgien und Armenien eingesetzt worden und legte im Sommer 2021 seinen Abschlussbericht vor. Darin wird etwa empfohlen, Kinder nicht in einem laufenden Schuljahr abzuschieben. Darüber hinaus soll in solchen Fällen ein Beamter direkt mit dem betroffenen Kind sprechen und sich so ein detailliertes Bild von der Situation machen. Und Kindern sollte ausreichend Möglichkeit gegeben werden, sich zu verabschieden.

Windischbauer erzählt, dass er am Dienstagmittag einen Anruf von Husein erhalten hat. Der Bub habe ihm gesagt, dass sie "gleich ins Flugzeug einsteigen müssen". Eine Stunde später war die Maschine bereits in der Luft. 

Jahrelanges Warten

Ein großes Problem im Zusammenhang mit diesen Abschiebungen sei, dass die Kinder so lange auf Entscheidungen warten müssten. Das betont auch der Rechtsanwalt Wilfried Embacher. Er setzt sich aktuell dafür ein, dass die im Vorjahr abgeschobene 13-jährige Tina ihre Ausbildung in Österreich mit einem Schülervisum fortsetzen kann. Wenn Kinder einen Großteil oder sogar die Hälfte ihres Lebens in Österreich verbracht haben, könne ein Abschieben besonders problematisch sein, sagt er. Zudem kritisiert Embacher, dass es keine stringente Entscheidungsfindung gebe. "Es ist im Voraus immer schwer, zu sagen, ob ein Asylantrag positiv oder negativ bewertet wird. Die Rechtsprechung ist definitiv uneinheitlich."

Diese fehlende Vorhersehbarkeit gelte auch für Bleiberechtsanträge: "Das ist eine wichtige Unterscheidung, weil in der öffentlichen Diskussion oft argumentiert wird, dass kein Bleiberecht gewährt werden kann, weil keine Asylgründe vorliegen", erklärt Embacher. "Wenn es Asylgründe gibt, wird aber ohnehin der Schutzstatus zuerkannt, dann gibt es keine Prüfung des Bleiberechts." Daher sei die Frage der Asylgründe beim Bleiberecht nicht relevant, sondern nur die Kriterien der Integration.

Im Fall der Familie Salimov gab es bereits einen Vorvertrag für eine Mietwohnung und eine Jobzusage für die Mutter. Trotzdem mussten sie das Land verlassen.

Der UTTC Salzburg will nun versuchen, auch für Husein ein Schülervisum zu bekommen. Dass der Bub auf diesem Weg nach Österreich zurückkommen kann, ist laut Embacher aber unwahrscheinlich. Und sollte es dennoch gelingen, so müsste er seine Eltern in Aserbaidschan zurücklassen

Einig sind sich die Experten darin, dass man die Verfahren bei Kindern beschleunigen könnte und auch weitere Empfehlungen der Kindeswohl-Kommission seien umsetzbar, sofern der politische Wille da ist. "Aber den kann ich nicht erkennen", sagt Schaffelhofer-Garcia Marquez.