Viel zu viele Anzeigen wegen Gewaltdelikten - 80 bis 90 Prozent - werden eingestellt, klagte Rosa Logar, Geschäftsführerin der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie. "Viele Gewalttaten bleiben somit ohne Sanktion. Gerade bei Ersttaten wäre es im Sinne des Opferschutzes wichtig, klare Zeichen zu setzen", sagte sie im Gespräch mit der APA vor dem Hintergrund der Tötung zweier Frauen in Wien-Favoriten.
Der Verdächtige ist strafrechtlich unbescholten. Mehrere Anzeigen gegen ihn mit Gewaltkonnex waren eingestellt worden, ein Strafverfahren ist noch offen.
Weder in Wien, noch an seinem Wohnort Linz hätten Gewaltschutzorganisationen Meldung über die inkriminierten Vorfälle erhalten, so Logar, diese Stellen sollten aber vielmehr umgehend von Gewalttaten in Kenntnis gesetzt werden. Das Gleiche gelte für die Kinder- und Jugendhilfe. "Wenn niemand etwas weiß, kann niemand helfen." Zuallererst müssten die Behörden bei Hinweisen auf Gewalttätigkeit die Frage stellen: "Wer könnte dadurch besonders gefährdet sein?", auch über den gegenständlichen Vorfall hinaus.
"Warum wurde nicht entsprechend gehandelt?"
"Erneut fragen wir uns, warum im Vorfeld nicht entsprechend und konsequent gehandelt wurde, um diese Morde zu verhindern - vor allem wenn der Täter bereits angezeigt wurde", meinte auch Maria Rösslhumer vom Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser (AÖF). "Wo blieb die Risikoeinschätzung, wo die Gefährlichkeitsprognose seitens der Behörden? Warum wurden beide Verfahren im Vorfeld eingestellt?"
Logar fordert, dass bei Gewalt an Frauen oder in der Familie eine Schutzmaßnahme durch die Polizei gesetzt werden sollte, das könne mit einer Anzeige erfolgen, immer aber müsse eine Meldung geschrieben werden. "Oft gibt es nur eine Eintragung im Tagesbericht", solcherart würden Vorfälle leicht "untergehen". "Das ist fatal bei diesen Delikten, die Wiederholungstaten sind und eskalieren können", warnte sie.
Die Expertin urgiert zudem Maßnahmen gegen die schnelle Einstellung von Anzeigen im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt, aber etwa auch bei sexueller Gewalt an Kindern. "Dazu braucht es bei der Justiz Ressourcen, damit eine entsprechend mit Personal ausgestattete Staatsanwaltschaft der Polizei Ermittlungsaufträge geben kann, anstatt wie allzu oft zu sagen: 'Die Suppe ist zu dünn'." Eine bessere Beweissicherung und genauere Ermittlungen seien nötig, Verletzungen sollten immer mit Fotos dokumentiert werden.
Logar: Einbruch bei Betretungsverboten
"Die viel zu vielen Einstellungen reproduzieren das Problem der Wiederholung von Gewalt", konstatierte Logar. "Wenn Maßnahmen unzureichend angewendet werden, ist das ein Freibrief für die Täter", so Rösslhumer.
Generell sei in den vergangenen drei Jahren ein Einbruch bei Betretungs- und Annäherungsverboten zu erkennen, meinte Logar. Das sei zum Teil vielleicht mit der Coronakrise zu erklären. In jedem Fall bedeute es, "dass noch weniger Opfer Schutz bekommen".
"Es braucht dringend die Umsetzung der Fallkonferenzen bei gefährlichen Tätern sowie Information und regelmäßigen Austausch seitens der Behörden mit Opferschutzeinrichtungen, wie Frauenhäuser und Frauenberatungsstellen", sagte Rösslhumer. "Einmal mehr fordern wir Sensibilisierung durch verpflichtende Schulungen zu häuslicher Gewalt und Partnergewalt für Justiz und Polizei."