In Österreich ist erneut ein Fall von illegaler Zurückweisung von Asylsuchenden an der Grenze dokumentiert. Ende Juli soll ein Minderjähriger aus Somalia, gemeinsam mit einer Gruppe fünf anderer Geflüchteter, von Österreich nach Slowenien zurückgebracht worden sein, obwohl der Somalier gegenüber Beamten mehrmals deutlich machte, einen Asylantrag stellen zu wollen. Sein Rechtsanwalt brachte deshalb eine Maßnahmenbeschwerde beim Landesverwaltungsgericht Steiermark ein.
Von Beginn an habe der 17-Jährige Amin auf Englisch mehrmals "nachdrücklich" und "ausreichend deutlich" zu verstehen gegeben, in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz stellen zu wollen - womit ihm Abschiebeschutz zugestanden wäre, führt der Wiener Anwalt Clemens Lahner in der der APA vorliegenden Maßnahmenbeschwerde an. Demnach wurde Amin am 25. Juli in Bad Radkersburg aufgegriffen, nachdem er über die Türkei und den Balkan bis nach Slowenien gereist war und in Begleitung von fünf volljährigen Asylsuchenden aus anderen afrikanischen Staaten zu Fuß die Grenze nach Österreich überquerte. Der Fall wurde von der Initiative Push-Back Alarm Austria sowie der asylkoordination Österreich dokumentiert und nun öffentlich gemacht.
Dokumentationspflicht verletzt
Bereits beim Aufgriff, während der Durchsuchung und des mehrstündigen Aufenthaltes in der Polizeidienststelle im Beisein von Beamten habe der junge Bursch immer wieder zu verstehen gegeben, dass er in Österreich um Asyl und Schutz vor Verfolgung ansuchen wolle und das Wort Asyl ("asylum") ausgesprochen. Dennoch wurde kein Verfahren zur Prüfung des Antrags eingeleitet, sondern "lediglich die persönlichen Daten des BF (Beschwerdeführers, Anm.) aufgenommen, Fingerabdrücke genommen und Lichtbilder angefertigt", heißt es weiter. Auch eine Befragung unter Beiziehung eines Dolmetschers fand nicht statt, ebenso wenig wurden dem 17-Jährigen Dokumente, die er unterschreiben musste, übersetzt oder danach ausgehändigt, womit laut Lahner die Dokumentationspflicht verletzt wurde.
Erfolg bei ähnlichem Fall
Die Zurückweisung sei rechtswidrig, denn laut Asylgesetz sei dem minderjährigen Somalier faktischer Abschiebeschutz zugekommen, ein Verfahren zur Überprüfung seines Antrags auf internationalen Schutz hätte durchgeführt werden müssen, so der Rechtsanwalt, der bereits im vergangenen Jahr in einem sehr ähnlich gelagerten Fall eine Maßnahmenbeschwerde beim Landesverwaltungsgericht Steiermark eingebracht hatte und damit erfolgreich war.
In der Causa, bei der ein 21-jähriger Marokkaner Ende September 2020 ebenfalls in der Steiermark aufgegriffen worden war und nach wenigen Stunden trotz klarer Bitte um Asyl nach Slowenien zurückgewiesen wurden, entschied der zuständige Richter Anfang Juli, dass dies rechtswidrig war. Die Sicherheitsorgane hätten jedenfalls das "hörbare Verlangen nach Asyl" wahrnehmen müssen. Der junge Mann sei zudem sowohl in seinem Recht auf Achtung der Menschenwürde (er musste sich unter anderem niederknien und vollständig entkleiden) als auch dem Recht auf ausreichende Dokumentation verletzt worden, hieß es im Urteil.
Methodische Anwendung
Der Richter kam in jenem Fall zudem zu dem Schluss, dass Pushbacks "in Österreich teilweise methodisch Anwendung finden" und hielt fest, dass es sich aller Wahrscheinlichkeit um Kettenabschiebungen über Slowenien und Kroatien nach Bosnien und Herzegowina handle, von denen auch die involvierten Beamten wissen. Das Innenministerium in Wien wies die Vorwürfe zunächst zurück und erklärte, die Geflüchteten hätten keinen Asylantrag stellen wollen, nach dem Richterspruch verwies man lediglich auf die Landespolizeidienststelle Steiermark.
Push-Back Alarm Austria
Der Initiative Push-Back Alarm Austria liegen nach eigenen Angaben derzeit etwa 15 ähnlich gelagerte Verdachtsfälle illegaler Zurückweisungen vor. Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) könne nun nicht mehr "wie gewohnt die Verantwortung abwälzen und mit dem Finger auf andere zeigen", sagte Lukas Gahleitner-Gertz, Sprecher der asylkoordination österreich, in einer der APA übermittelten Aussendung. Die Staatsanwaltschaft sei spätestens jetzt gefordert zu klären, ob es "von ganz oben rechtswidrige Weisungen für eine illegale Push-Back-Route am Balkan gibt oder ob der Innenminister seinen Laden nicht unter Kontrolle hat", forderte Gahleitner-Gertz. Die asylkoordination und Push-Back Alarm Austria appellierten zudem, eine Einreisegewährung auszustellen, im Falle der Feststellung einer rechtswidrigen Zurückweisung, ebenso wie finanzielle Schadenersatzansprüche für Geschädigte.
Kritik an Nehammer
Georg Bürstmayr, Sprecher der Grünen für Asylpolitik, bezeichnete den neuen Pushback-Fall in einer Aussendung als "alarmierend", denn er weise darauf hin, dass es sich "nicht um Einzelfälle, sondern um gehäuftes, womöglich planmäßiges Vorgehen österreichischer Beamter gegen Asylwerber*innen handelt". Sollte es eine erneute Bestätigung vor Gericht geben, forderte Bürstmayr "sichtbare Konsequenzen". Der Innenminister sei in der Pflicht, die Einhaltung von Grundregeln auch in der eigenen Behörde sicher zu stellen.
Auch Stephanie Krisper, NEOS-Sprecherin für Inneres, übte anlässlich des neuen Falles, scharfe Kritik am Innenminister. Dieser interessiere sich "schlichtweg nicht dafür, welche menschenverachtende Methodik hier vonstattengeht, oder er sagt die Unwahrheit. Beides wäre absolut inakzeptabel", sagte sie in einem der APA übermittelten Statement am Montag. Es sei eine Schande, dass Menschen, die in Österreich um Asyl ansuchten, als "Abschreckungsbollwerk an den Grenzen missbraucht werden".