Stephan Reinhardt, Österreich-Experte des US-Weinkritikers Robert Parker, ließ erst kürzlich einen wahren Punkteregen über die heimischen Weine niedergehen. Seit wann wird Österreich als Weinland international ernst genommen?
WILLI KLINGER: Nach dem Weinskandal hat es zögerlich begonnen, in den 2000ern hat sich die Wahrnehmung verstärkt und seit meinen Anfängen in der ÖWM (Anm. Österreich Wein Marketing) 2006 haben wir die Abhängigkeit vom deutschen Markt verringern können. Früher hatten wir eine 80-prozentige Exportrate. Heute ist es nur mehr die Hälfte, weil wir statt dessen viele neue Märkte aufbauen konnten – von der Schweiz bis Skandinavien. USA ist unser drittbester Markt.
Hört man noch Stimmen aus anderen Ländern, die Österreich erst ab dem Weinskandal 1985 als Weinbauland wahrnehmen?
Leider ja, deshalb soll das Buch „Wein in Österreich – Die Geschichte“ einen weiteren Eckpfeiler setzen, den österreichischen Wein höher zu positionieren. Immerhin können wir auf 3000 Jahre Weingeschichte zurückblicken. Die englische Ausgabe ist übersetzt und wird vor Weihnachten rund um den Globus verschickt.
Im Zeitraffer vom Doppler zum gefragten Spitzenprodukt – was lässt sich über die letzten 30 Wein-Jahre sagen?
Wie bei einem Baukasten ist immer mehr dazugekommen, seltene Sorten wie der Rotgipfler etwa, die Steiermark hat Erfolgsgeschichte geschrieben, der österreichische Rotwein hat sich etabliert – es ist die Internationalisierung eines lokalen Phänomens. Vor allem der Weißwein hatte schon immer eine super Qualität. Das war aber nur den Österreichern und ihren Urlaubsgästen bekannt. Wenn heute zwei Sommeliers in Tokio oder New York die Weinliste durchgehen, kommt Österreich unweigerlich vor.
Ist Österreich mengenmäßig überhaupt eine Nummer?
Wir liegen bei nicht ganz einem Prozent der Weinmenge der Welt. Spanien, Frankreich und Italien machen zusammen 54 Prozent der Weltweinproduktion aus. Etwa 73 Prozent des österreichischen Weins bleiben im Land. Der Exportanteil von 27 Prozent könnte noch auf ein Drittel wachsen, aber dann ist Schluss. Wir wollen ja selbst auch unseren Wein trinken. Und trotz Prosecco oder Champagner liegen wir bei einem 90-prozentigen Marktanteil in der Gastronomie, das ist nicht mehr steigerbar. Im Handel sind es 60 bis 70 Prozent. Wir hoffen, dass es so weitergeht.
In welchen Urlaubsländern außerhalb Europas/USA kann man österreichischen Wein trinken?
In Novosibirsk finden sich in der Lounge im Marriot Hotel fünf österreichische Weine auf der Karte. Russland entwickelt sich erfreulich. Wir liefern die ersten Weine nach Afrika, auf die Seychellen, nach Mexiko. Auf Dauer, wenn die Welt sich friedlich entwickelt, gibt es kein Halten für den österreichischen Wein. Es gibt überall Weinkarten, die quasi über den Tellerrand schauen – und da müssen wir dabei sein.
Was fällt Ihnen derzeit auf, wenn Sie in Sachen Wein international unterwegs sind?
Bei den Vinotheken, die mit Naturweinen arbeiten, ist der österreichische Wein dick da. Da sind die Steirer ganz weit vorn. Die Natur- und Bioweinszene muss man sehr ernst nehmen, weil sie im Export überproportional erfolgreich ist, derzeit liegt man bei über zehn Prozent im Wert.
Mit 1. Jänner übergeben Sie die Leitung der ÖWM an ihren Nachfolger Chris York. Welches Ihrer Projekte wird er weiterverfolgen?
Das DAC-Projekt mit den noch fehlenden österreichischen Gebieten Wagram, Thermenregion, Ruster Ausbruch. Außerdem das Projekt der Riedenkarten, die digitalisiert werden. Österreich wird neu kartografiert, im Herbst 2020 findet es den Abschluss.
Was hat sie in den letzten Jahren am meisten beeindruckt?
Wenn du glaubst, du kennst alle Winzer, belehren dich in der nächsten Saison junge Leute eines Besseren. Die bunte, frische Szene, die nachfolgt und das Ruder in die Hand nimmt – zusätzlich zu den Stars – ist immer wieder ein Phänomen für mich.
Birgit Pichler