Noten sagen nichts darüber, was ein Schüler kann oder weiß. Nicht nur der Lehrer, auch das Leistungsniveau der Klasse, Schulform, Standort und Bildungsniveau der Eltern beeinflussen die Notengebung. Das zeigt der Bildungswissenschafter Ferdinand Eder in einem Beitrag für die Pädagogik-Zeitschrift "Erziehung und Unterricht". Sein Resümee: "Notenwahrheit" gibt es nicht und gab es wohl auch nie.
Eder vergleicht in seinem Beitrag die Notengebung der Lehrer mit dem in Bildungsstudien erhobenen Leistungsniveau der Schüler und demonstriert dabei, "dass in hohem Ausmaß gleiche Noten für ungleiche Leistungen oder ungleiche Noten für gleiche Leistungen vergeben werden". Ziffernnoten können demnach gerade einmal zeigen, wie man im Vergleich zu den jeweiligen Klassenkollegen dasteht. Denn: "Leistungen, die in der einen Klasse mit einem 'Nichtgenügend' verbunden sind, reichen in einer anderen für ein 'Sehr gut'. Und vice versa!".
Auch zwischen verschiedenen Schulen bzw. Schultypen sind die Schulnoten nicht vergleichbar. So werden bei gleicher Leistung an AHS bessere Noten vergeben als an einer Hauptschule, wie eine Erhebung gezeigt hat. Außerdem gibt es anscheinend "unterschiedliche regionale Gewohnheiten" der Notengebung: So steigt etwa in Salzburgs Volksschulen mit der Nähe zur Landeshauptstadt auch die Chance auf einen Einser in Deutsch oder Mathematik. Ein weiteres Beispiel: Während im Burgenland zwei Drittel der Volksschulabgänger als AHS-reif gelten, sind es in Vorarlberg nur 55 Prozent.
Sozialer Faktor
Dazu kommt eine Bedeutungsveränderung von Noten im Verlauf der Schullaufbahn: Nach der Volksschule saust der Notenschnitt im Mittel um fast eine ganze Note nach unten. In der AHS-Oberstufe bzw. den berufsbildenden mittleren und höheren Schulen (BMHS) bleiben sie zwar auf niedrigem Niveau einigermaßen konstant, allerdings müssen die Schüler dafür wesentlich mehr Arbeitszeit investieren. Und auch soziale Faktoren spielen mit: Je höher der Bildungsstatus der Eltern, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass in der vierten Klasse Volksschule in Deutsch und Mathe ein "Sehr gut" im Zeugnis steht, was wieder die Chance auf eine AHS-Laufbahn erhöht. "Noten sind das Einfallstor, durch das ständische Faktoren wirksam werden", schreibt Eder.
Nur wenn man all diese Einflussfaktoren ausschaltet, könnte man aus Sicht des Forschers zur viel beschworenen "Notenwahrheit" kommen. Dafür müssten Noten aufwendig nach einem standardisierten, im gesamten Schulsystem einheitlichen Verfahren vergeben werden. "Der Versuch, 'Notenwahrheit' herzustellen, impliziert jedenfalls das Ende der Beurteilung seitens der Lehrerinnen und Lehrer." Die aktuell fehlende Notenwahrheit hingegen könne "die Entwicklung eines verzerrten, unrealistischen Selbstkonzepts begünstigen", warnt Eder.
Sinnvoll und zeitgemäß?
Er stellt generell in Frage, ob Ziffern sinnvoll und noch zeitgemäß sind. Mit Ziffernnoten könne man Wissen und Können von Schülern ohnehin nicht angemessen beschreiben. Und während ohnehin gute Schüler durch gute Noten weiter bestärkt werden, werden leistungsschwache tendenziell entmutigt und in ihrem Leistungswillen geschwächt. Weil man bei Noten erst nach Ende des Lernprozesses Rückmeldung zu Fehlern und Lücken bekomme, eigneten sie sich auch nicht als lernförderndes Instrument. Weiterführende Bildungseinrichtungen oder potenzielle Arbeitgeber würden sich zudem mittlerweile zunehmend lieber auf eigene Leistungsverfahren als auf Schulnoten verlassen.
Eder plädiert für alternative Ansätze. Diese müssten den Leistungsstand angemessen wiedergeben, zum Weiterlernen motivieren, die Persönlichkeit stärken und dürften nicht diskriminierend sein. Am ehesten kann das laut Eder bei jenen Rückmeldungsformaten gelingen, die unmittelbar bei den Kompetenzen der Schüler ansetzen, also etwa Kompetenz- oder Lernziellisten.