Der Alpenraum erwärmt sich im Zuge des Klimawandels besonders stark. Pflanzen erobern dadurch immer höhere Lagen, die Pflanzenwelt verändert sich drastisch. Schweizer Wissenschafter weisen in einem Übersichtsartikel im Fachblatt "Science" darauf hin, dass die Rolle der alpinen Böden bei den Verschiebungen der Pflanzenwelt im Zuge des Klimawandels noch weitgehend unerforscht ist.
"Böden sind die Terra incognita des alpinen Raums", wurde Frank Hagedorn von der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) in einer Aussendung der WSL zitiert. In ihnen stecke die größte Artenvielfalt des Hochgebirges. Bisher sei aber nur ein Bruchteil der Funktionen dieser Organismen bekannt.
Permafrost taut auch hier
Bodenorganismen treiben Stoffkreisläufe an und stellen Nährstoffe für das Pflanzenwachstum zur Verfügung. Die Zersetzungsprozesse durch die Mikroorganismen bestimmen zudem, wie viel Kohlenstoff im Boden gespeichert wird. Die Rolle der Böden im Klimawandel ist dabei komplex: Taut der Permafrost im Hochgebirge, wird ein Teil des gespeicherten Kohlenstoffs frei und könnte als CO2 den Klimawandel weiter befeuern. Andererseits fördern die höheren Temperaturen das Pflanzenwachstum an der Vegetationsgrenze; die Pflanzen speichern wiederum CO2.
Daten deuten jedoch darauf hin, dass unterm Strich die CO2-Verluste der Böden dominieren werden, so Hagedorn. Er und sein Team führten bei Davos ein Experiment durch, bei dem die Forschenden mit Heizkabeln den Boden erwärmten. Dies führte zu CO2-Verlust und veränderte die Zusammensetzung der Gemeinschaft der Bodenorganismen, was in der Folge die Verfügbarkeit von Nährstoffen für das Wachstum von Pflanzen erhöhte.
Mit dem Klimawandel dürften sich somit die Bodengemeinschaften im alpinen Raum verändern. Die Nährstoffverfügbarkeit wiederum wird - neben den steigenden Temperaturen - die Alpenflora prägen.
Immer höher
Wenn Pflanzen immer höhere Lagen erobern, brauchen sie Boden, der Wasser und Nährstoffe speichert. Dessen Bildung hinke der Erwärmung jedoch hinterher, sagte Hagedorn. Bis sich neuer Boden aus Gestein bildet braucht es Jahrhunderte bis Jahrtausende. Das bedeutet einen Nachteil für jene Pflanzen, die nährstoffreiche Böden brauchen, und einen Vorteil für anspruchslose Pflanzenarten wie die Alpenmargerite oder das Alpenrispengras.
Trotz der zentralen Rolle, die alpine Böden somit spielen, seien sie wenig erforscht, bemängelt Hagedorn. Es existiere bisher nur eine einzige Aufnahme eines Bodenprofils oberhalb der Waldgrenze. Böden und die darin lebenden Organismen sollten fester Bestandteil von langfristigen Beobachtungsprogrammen werden, fordern die Autoren des Übersichtsartikels.
Der Artikel ist Teil eines Sonderdossiers des Fachblatts Science anlässlich des 250. Geburtstags von Alexander von Humboldt. Der Naturforscher war der erste, der die unterschiedliche Vegetation in verschiedenen Höhenlagen beschrieben und mit klimatischen Verhältnissen erklärt hatte.