Eine 38-jährige Wienerin, die ihren Ehemann mit einem Stich ins Herz erstochen hatte, ist am Donnerstagabend am Landesgericht vom Mordvorwurf freigesprochen und nach der Verhandlung auf freien Fuß gesetzt worden. Die Geschworenen billigten ihr einstimmig zu, in gerechtfertigter Notwehr gehandelt zu haben. "Damit gehen Sie nach Hause", meinte die vorsitzende Richterin nach der Urteilsverkündung.

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Der Staatsanwalt gab vorerst keine Erklärung ab. Obwohl sich bei der Urteilsverkündung Verwandte des Getöteten und der Angeklagten im Publikum befanden und im Vorfeld - abhängig vom Verfahrensausgang - Unruhe unter den Zusehern befürchtet worden war, blieb es vollkommen ruhig. Die vorsorglich sechs abgestellten Justizwachebeamten mussten nicht einschreiten.

Fest stand, dass sie den Mann am 9. Februar 2019 in der ehelichen Wohnung mit einem Messerstich ins Herz getötet hat. Die Angeklagte machte Notwehr geltend.

"Sie hat ihm das Küchenmesser gezielt und wuchtig ins Herz gerammt. Er ist kurz danach verblutet. Er hatte keine Chance", stellte der Staatsanwalt eingangs des Verfahrens fest. In der Anklageschrift hieß es, sie habe zugestochen, weil sie "zornig und wütend" war. Die 38-Jährige und ihr Verteidiger Ernst Schillhammer schilderten dagegen eine Notwehr-Situation, in welcher der Frau nichts Anderes übrig geblieben sei, als sich zu wehren.

"Ich wollte ihn nicht töten"

"Was soll man sich noch alles gefallen lassen?", fragte Schillhammer. Die Frau und die beiden Kinder - eine 18 Jahre alte Tochter der Angeklagten aus einer vorangegangenen Beziehung und ein zwölfjähriger ehelicher Sohn - hätten jahrelang unter den Gewalttätigkeiten des Mannes gelitten. Vor der Bluttat sei es wieder zu einem Streit gekommen, der eskalierte. Der Mann sei wieder einmal im Begriff gewesen, seine Ehefrau zu verprügeln. "Da darf sie ein Messer in die Hand nehmen", bekräftigte Schillhammer.

Ihr Mann habe zunächst einen Konflikt mit ihrer Tochter gehabt, als er auf diese losgehen wollte, sei sie dazwischen gegangen. Daraufhin habe er ihr gedroht, er werde ihr alle Knochen brechen. In "panischer Angst" sei sie in die Küche gelaufen. Er sei ihr gefolgt und habe ihr zugerufen, ihre Mutter werde sie nicht mehr erkennen, wenn er mit ihr "fertig" sei. Da habe sie "ein Messer genommen, um mich zu schützen". Er sei "immer aggressiver" geworden, habe sie beleidigt und beschimpft und sei "in Kampfhaltung" gegangen. Ihr Mann habe zehn Jahre lang Kickboxen und Muay Thai betrieben.

"Da muss es zum Stich gekommen sein, dass ich mich wahrscheinlich wehren wollte", gab die Frau - von Beruf Buchhalterin - zu Protokoll. Sie könne sich nicht erklären, "dass es (das Messer, Anm.) da (ins Herz, Anm.) rein gegangen ist." Sie habe beabsichtigt, "dass er von mir ablässt und nicht schlägt", schluchzte die 38-Jährige. Und weiter: "Ich habe nicht nachgedacht. Ich habe mich einfach nur gewehrt."

"Ich habe gesehen, wie er grau wird"

Die Frage, ob sie bemerkt habe, wo die Klinge ihren Mann traf, verneinte die Angeklagte. Sie habe dann wahrgenommen, wie der Verletzte sein T-Shirt anhob und Blut aus der Wunde drang. Dann sei der Mann auf die Knie gefallen und habe mit dem Kopf am Boden aufgeschlagen.

In weiterer Folge habe sie ihrer Tochter zugerufen, diese solle einen Druckverband bringen, berichtete die Frau. Die 18-Jährige wusste nicht, was damit gemeint war. Darauf habe sie Rettung, Feuerwehr und Polizei verständigt und ihren am Boden liegenden Mann umgedreht: "Ich habe gesehen, wie er grau wird." Die Frau begann mit einer Herzmassage und setzte die Reanimationsmaßnahmen bis zum Eintreffen der Rettungskräfte fort. Der lebensgefährlich Verletzte wurde in Spital gebracht, wo er starb.

"Das Schlimmste ist, dass mein Mann alleine gestorben ist", stellte die Frau stockend fest. Unmittelbar nach diesem Satz wurde sie von einem Weinkrampf geschüttelt. Nachdem sie noch hinzugefügt hatte, dass sie ihn geliebt habe, musste die Verhandlung für mehrere Minuten unterbrochen werden.

Kinder sagen aus

Die beiden Kinder der Angeklagten wurden als Zeugen befragt, wobei ihnen ein unmittelbarer Auftritt im bis auf den letzten Platz gefüllten Gerichtssaal erspart wurde. Überdies beging der Bub ausgerechnet am Tag des Mordprozesses gegen seine Mutter seinen zwölften Geburtstag. Beide schilderten jahrelange Gewalttätigkeiten, die sie von ihrem Stiefvater bzw. Vater erlebt hätten.

Um den Kindern eine schonende Befragung zu ermöglichen, wurde die Verhandlung kurzfristig in einen anderen Saal "übersiedelt", in dem eine Video-Anlage zur Verfügung stand, dank dieser die Kinder in einem Nebenraum die an sie gerichteten Fragen beantworten konnten. Die Zeugenauftritte wurden über mehrere Bildschirme in den Verhandlungssaal übertragen.

Ausführlich wurde die 18-Jährige vernommen, die zum Zeitpunkt der Bluttat in der Wohnung war. Obwohl die vorsitzende Richterin die junge Frau eher irritierend, weil nicht unbedingt altersangemessen befragte ("Was hat der Papa gemacht?", "Hat es wehgetan"?), gab die Stieftochter bereitwillig Auskunft.

Sie selbst habe im Volksschulalter erstmals Schläge bekommen, ihr Stiefbruder mit acht. Mit dem Gürtel seien sie geschlagen worden, "wenn er der Meinung war, dass wir sehr schlimm waren". Der neue Mann ihrer Mutter sei unberechenbar gewesen: "Er hätte sich selber mehr unter Kontrolle haben sollen in diesem Alter." Immer, "wenn er einen Anfall hatte, ist er auf egal wen losgegangen", gab die 18-Jährige an. Ihre Mutter habe sich deswegen teilweise gar nicht mehr zu grüßen getraut.

Nach Gewalttätigkeiten sei der Stiefvater immer wieder gekommen und habe ihr versichert, dass es ihm leidtue und dass er sich ändern werde: "Er hat sich nie geändert." Die Mutter hätte keine Konsequenzen aus dem Szenario gezogen: "Sie war viel zu gut."

Schlussplädoyer

Nach Abschluss des Beweisverfahrens blieb Staatsanwalt Sherif Selim bei seiner Ansicht, dass keine Notwehr, sondern Mord vorliege. "Ich mag den Mann selber nicht", meinte er über den getöteten Ehemann der Angeklagten. Dieser habe seine Familie tyrannisiert und geschlagen: "Diese Leute mag niemand. Trotzdem, auch böse Menschen darf man nicht einfach töten", sagte Selim in seinem Schlussplädoyer.

Der Ankläger zeigte sich überzeugt, dass dem Herzstich kein unmittelbar gegen die Ehefrau gerichteter Angriff vorangegangen sei. Vielmehr habe sich die Frau nach einer verbalen Auseinandersetzung ein Messer aus der Küche geholt: "Sie wollte einfach Schluss machen. Sie hat das Messer genommen und ihm ins Herz gestochen." Der Stich sei für den 40-Jährigen "völlig überraschend" gekommen, meinte der Staatsanwalt unter Verweis auf die sportliche Passion des Mannes: "Ein trainierter Kampfsportler geht nicht auf einen Menschen zu und lässt sich abstechen." Der Gerichtsmediziner hätte bei der Obduktion auch keine Abwehrspuren an der Leiche festgestellt.

Für Verteidiger Ernst Schillhammer handelte es sich "um ein unglückliches Ereignis", das der gewalttätige Ehemann mit seinem Leben bezahlt habe. Schillhammer bat die Geschworenen darum, der von seiner Mandantin dargestellten Notwehr-Situation zu folgen.