Die nach mehreren Jahren heftiger Diskussionen 2012 in das österreichische Gratis-Kinderimpfprogramm eingeführte Pneumokokkenimmunisierung schützt die bis zu Fünfjährigen, hat aber auch einen "Herdenschutz" für die nicht geimpften über 50-Jährigen. Das hat eine aktuelle wissenschaftliche Studie der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) und der MedUni Wien ergeben.
Im Gesamtjahr 2017 wurden in Österreich 545 invasive Pneumokokkenfälle registriert. 2005 waren es 125 gewesen. In den ersten drei Quartalen 2018 gab es in Österreich 448 gemeldete derartige Erkrankungen. Wahrscheinlich aber wäre die Zahl der schweren Infektionen durch Staphylococcus pneumoniae mit Sepsis und Multiorganversagen als schwerste Verlaufsformen noch höher gewesen, hätte es nicht die Kinderimpfungen gegeben.
"Im Februar 2012 wurde der zehn-valente Pneumokokken-Konjugat-Impfstoff (mit Antigenen von zehn Pneumokokken-Serotypen; Anm.) (...) in Österreich eingeführt", schrieben jetzt AGES-Statistiker Lukas Richter als Erstautor und die Co-Autoren - darunter Wissenschafter wie Ursula Wiedermann-Schmidt von der MedUni Wien - in ihrer in Plos One publizierten wissenschaftlichen Arbeit. Die Experten analysierten das Vorkommen der fast 100 vorhandenen Pneumokokken-Serotypen bei den schwer Erkrankten in den Jahren 2009 bis 2011 und 2013 bis 2017, also vor und nach der Aufnahme der Pneumokokkenimmunisierung in das Gratis-Kinderimpfprogramm. Dieses Programm war ehemals unter der Gesundheitsministerin Eleonore Hostasch (SPÖ) gestartet worden war.
Impfprogramm bis zum zweiten Lebensjahr
"Die Impfung ist für Kinder bis zum vollendeten zweiten Lebensjahr im kostenfreien Impfprogramm enthalten. Es wird mit einem Konjugatimpfstoff nach dem 2+1 Schema im 3., 5. und 12. (-14.) Lebensmonat geimpft", lauten die offiziellen österreichischen Empfehlungen. Immunisiert wird mit einer zehn-valenten Vakzine gegen zehn Serotypen der Erreger (1, 4, 5, 6B, 7F, 9V, 14, 18C, 19F und 23F). Mittlerweile gibt es eine 13-fach-Vakzine - zusätzlich mit Antigenen der Serotypen 3, 6A und 19A. Dieser Impfstoff wird bisher in Österreich im Gratis-Impfprogramm nicht verwendet.
Die Ergebnisse der Wissenschafter sprechen zunächst einmal sehr deutlich für den generellen Schutz, welchen die Impfung gibt. So wurde die Häufigkeit der invasiven Pneumokokken-Erkrankungen durch die zehn Serotypen der Keime, gegen welche die Vakzine schützen soll, um insgesamt 58 Prozent reduziert, schrieben die Fachleute.
Gleichzeitig bewiesen die Experten den hohen Schutzgrad bei kleinen Kindern und einen hohen "Herdenschutz" bei gar nicht geimpften älteren Menschen: Bei den unter Fünfjährigen und bei den über 50-Jährigen sank die Häufigkeit der invasiven Pneumokokken-Erkrankungen (durch die zehn Serotypen) um 67 Prozent im Vergleich der beiden Zeitperioden (vor und nach Start der Pneumokokkenimpfung im Gratis-Programm für Kinder). Bei den über 60-Jährigen sank die Häufigkeit gar um 71 Prozent.
"Unsere Studie bringt zusätzliche Hinweise auf die direkte und indirekte Schutzwirkung durch ein (Gratis-; Anm.)Kinderimpfprogramm mit einem zehn-valenten Pneumokokkenimpfstoff. Die (ungeimpften; Anm.) Betagten dürften am meisten profitieren", schrieben die Wissenschafter in ihrer Zusammenfassung.
Forderung nach Umstieg
In den vergangenen Monaten gab es in Österreich - zum Beispiel durch die Wiener Sozialmedizinerin Ursula Kunze - auch die Forderung, im österreichischen Gratis-Kinderimpfprogramm auf den neueren 13-fach-Impfstoff umzusteigen. Dieser würde einen breiteren Impfschutz vermitteln, erklärte sie. Die aktuelle wissenschaftliche Studie dürfte dafür sprechen. Laut den Autoren der Studie zeigte sich nämlich keine Änderung bei der Häufigkeit der invasiven Pneumokokkenerkrankungen durch die vom Zehnfach-Impfstoff nicht abgedeckten Keimvarianten 6A und 19A, die im 13-valenten Impfstoff sehr wohl enthalten sind.
Keine Auswirkung auf die invasiven Pneumokokkenerkrankungen durch die zehn Serotypen dieser Bakterien wurde in der Altersgruppe der Fünf- bis 49-Jährigen registriert. Das spricht dafür, dass Staphylococcus pneumoniae eben ein Problem der Babys und Kinder in den ersten Lebensjahren sowie der Menschen ab dem mittleren Lebensalter ist.
Pneumokokken verursachen "lokal" vor allem Mittelohr- und Nebenhöhlenentzündungen sowie Pneumonien, binnen kürzester Zeit lebensgefährlich können invasive Erkrankungen mit Sepsis und Multiorganversagen sein. In Österreich wurden im Zeitraum 2005 bis 2015 bei den Ein- bis Zweijährigen rund zehn invasive Pneumokokkenerkrankungen pro 100.000 registriert, bei den über 75-Jährigen lag die Häufigkeit ähnlich hoch. Die Erstimpfung bei Erwachsenen sollte mit dem konjugierten und gegen 13 Pneumokokkenvarianten schützenden Impfstoff erfolgen. Nach einem Jahr kann mit einer 23-valenten älteren Vakzine noch einmal immunisiert werden.