Herr Marquardt, Sie beschäftigen sich in Deutschland schon sehr lange mit dem Thema Schreibmotorik. Was hat sich in den letzten Jahren verändert?

Christian Marquardt: Es ist über die Zeit hinweg zu erkennen, dass sich die Schreibprobleme leider weiter verschlimmern. Auch die Einführung von modifizierten Schulausgangsschriften (z. B. vereinfachte Ausgangsschrift) hat zu keinen signifikanten Verbesserungen geführt und hat an manchen Stellen sogar weitere Probleme mit sich gebracht. Das Problem sind also nicht die Schriften, sondern das Erlernen einer geeigneten Schreibmotorik. Hier benötigen die Kinder deutlich mehr Unterstützung als bisher. Es ist also sinnvoll, den Blick auf die Vorschule und die Prävention zu richten.

Sind das Folgen der Digitalisierung?

Sicherlich geht auch das Zeitalter der Digitalisierung nicht ohne Spuren an den Kindern vorbei. Viele Kinder kommen bereits mit schlecht entwickelten feinmotorischen Kompetenzen in die Schule, und diese Defizite sind in der Schule schwer aufzuholen.

Christian Marquardt
Christian Marquardt © Christian Marquardt /KK

Wie viele Schulkinder haben in Deutschland Probleme mit der Schreibschrift? Gibt es dazu aktuelle Zahlen?

Eine Umfrage des Schreibmotorik-Instituts und des Deutschen Lehrerverbands im Jahr 2015 unter etwa 2000 deutschen Lehrern ergab, dass 31 Prozent der Mädchen und sogar 51 Prozent der Buben Probleme mit dem Erwerb einer flüssigen und lesbaren Handschrift haben. Als Symptome wurden in der Volksschule am häufigsten Verkrampfung (74 Prozent) und schlechte Stifthaltung (68 Prozent), in den weiterführenden Schulen Unleserlichkeit (93 Prozent) und mangelndes Schreibtempo (71 Prozent) genannt. Als Ursachen wurden schlechte Feinmotorik (69 Prozent) und zu wenig Übung angegeben (64 Prozent).

Was passiert im Gehirn, wenn wir mit der Hand schreiben?

Verschiedene Studien belegen, dass das Schreiben mit der Hand weit über das reine Festhalten von Information hinausgeht. Es fördert andere Entwicklungsaspekte der Kinder, wie das Wortgedächtnis, die Leseleistung, das Textverständnis oder die kognitive Entwicklung insgesamt.

Gilt das auch für Erwachsene?

Auch Erwachsene zeigen Unterschiede beim Schreiben mit der Hand und beim Tippen. Beim Handschreiben werde Texte beispielsweise bereits umformuliert, gestaltet und strukturiert und können danach auch besser erinnert werden. Dies liegt wohl daran, dass beim Handschreiben komplexe motorische Programme verwendet werden müssen und viele verschiedene Hirnareale aktiv sind. Obwohl in einer digitalen Welt der getippte Text oftmals das effizientere Kommunikationsmittel ist, sollten die positiven Effekte des Handschreibens nicht unterschätzt werden.