Magomed I. erklärte, er habe bei den inkriminierten Geschehnissen im georgisch-russischen Grenzgebiet vom Sommer 2012 als Spion für Russland und nicht als Terrorist und Mörder gehandelt.
"Er hat terroristische Straftaten nicht begangen, sondern verhindert", betonte Verteidiger Wolfgang Blaschitz zu Beginn des bis Mitte Juli anberaumten Geschworenenverfahrens. Der 38-Jährige sei nicht - wie von der Anklage unterstellt - an der Spitze einer tschetschenischen Kampftruppe gestanden, der es darum gegangen sein soll, in der russischen Teilrepublik Dagestan einzufallen und dort Anschläge zu verüben. "Er hat in Wahrheit Gröberes verhindert. Er war es, der den russischen Behörden einen Zund gegeben hat", sagte Blaschitz.
Die Staatsanwaltschaft legt dem gebürtigen Tschetschenen, der 2005 nach Österreich gekommen war und der seit November 2009 als Konventionsflüchtling Asylstatus genießt, mehrfachen Mord im Rahmen einer terroristischen Vereinigung nach den Paragrafen 278 b Absatz 2 (Terroristische Vereinigung) und 278 c (Terroristische Straftaten) StGB zur Last. Der 38-Jährige soll sich von Österreich aus in einer höherrangigen Funktion für das "Emirat Kaukasus" betätigt haben, das einen unabhängigen islamistischen Gottesstaat im Nordkaukasus errichten möchte.
Konkret wird Magomed I. von der Wiener Anklagebehörde für den Tod eines georgischen Hauptmanns einer Anti-Terror-Einheit, eines Majors einer paramilitärischen Einheit des georgischen Innenministeriums und eines Feldsanitäters verantwortlich gemacht, die bei einem Feuergefecht mit den tschetschenischen Rebellen ums Leben kamen. Magomed I. soll unter dem Kampfnamen "Abu Hamza" im Auftrag von Achmed Tschatajew alias David Mayer - dieser gilt als Drahtzieher des verheerenden Terror-Anschlags auf den Istanbuler Flughafen vom Juni 2016 mit Dutzenden Toten - von Wien nach Georgien gereist sein und dort das Kommando über die 17-köpfige Truppe übernommen haben, die sich durchwegs aus jungen, in den EU-Raum geflüchteten Tschetschenen zusammensetze.
Der russische Geheimdienst bekam allerdings vom geplanten Grenzübertritt der tschetschenischen Terroristen Wind. Die Grenztruppen wurden verstärkt und die georgischen Behörden verständigt. "Die georgischen Verantwortlichen waren äußerst besorgt über die mögliche russische Reaktion, sollte es der Gruppe gelingen, die Grenze zu überschreiten. Es wurden Befürchtungen geäußert, wonach russische Streitkräfte daraufhin das Lopota-Tal mit Artilleriebeschuss belegen oder sogar auf die Hauptstadt Tiflis selbst vorrücken könnten", ist dazu der Anklageschrift zu entnehmen.
Seitens der georgischen Behörden konnte schließlich Kontakt zu den Tschetschenen hergestellt werden. Man versuchte, diese von ihrem Vorhaben abzubringen. Die Verhandlungen, im Zuge derer sich Mayer unter Verschleierung seiner wahren Absichten als Vermittler dem georgischen Innenministerium angedient haben soll, zerschlugen sich allerdings. Am frühen Morgen des 29. August 2012 eröffneten die georgischen Einsatzkräfte das Feuer. Das mehrstündige Gefecht kostete zumindest drei georgische Beamte das Leben. Fünf weitere Sicherheitskräfte wurden verletzt. Sieben Terroristen kamen um. Magomed I. wurde an der Hand getroffen, Mayer am Fuß schwer verletzt, der sich darauf von den restlichen Überlebenden absetzte und den georgischen Behördenvertretern stellte.
Offenbar gelang es Mayer, diese zu überzeugen, dass er mit den Terroristen nicht unter einer Decke steckte. Er konnte das Land verlassen, um sich später der Terror-Miliz Islamischer Staat (IS) anzuschließen. Magomed I. wiederum schaffte es, nach Österreich zurückzukehren.
Das wies der 38-Jährige nun entschieden zurück, nachdem sein Verteidiger über die Darstellung der Anklagebehörde gewitzelt und diese als "Geschichte, die man sich am heimeligen Herd erzählen mag" bezeichnet hatte, die jedoch in einem Gerichtssaal "nichts verloren hat. Hier zählen nur Fakten". Magomed I. behauptete, er habe seinerzeit für die Unabhängigkeit Tschetscheniens gekämpft, sei dann aber verwundet, inhaftiert und im Gefängnis gefoltert worden. Um nicht umgebracht zu werden und aus Angst um das Leben seiner Angehörigen sei er schließlich auf ein Angebot eingegangen, zukünftig als Informant für den tschetschenischen Präsidenten Ramzan Kadyrow zu arbeiten: "Man hat mich dazu gezwungen."
Vor diesem Hintergrund hätte er nach seiner Flucht nach Österreich im Asylverfahren falsche Angaben gemacht. Er sei dann im Sommer 2012 allein und ohne irgendeinen Auftrag nach Georgien geflogen, weil seine Schwester entführt worden sei und er ihre Freilassung bewirken wollte. Dort hätte er dann von einer geplanten Aktion von jungen Tschetschenen erfahren: "Das war eine Gruppe von jungen Leuten, die lange davon geträumt haben zu kämpfen. Sie haben es als Chance gesehen." Diesen hätte er sich angeschlossen - jedoch nicht aus Überzeugung und schon gar nicht als Kommandant, sondern als "Maulwurf". Vor Erreichen des russischen Territoriums habe er eine SMS an Islam Kadyrow, den Bruder des tschetschenischen Präsidenten, geschickt und diesen gewarnt, gab der Angeklagte zu Protokoll. Darauf hin wurden georgische Spezialkräfte eingeschaltet. "Sie wollten uns alle vernichten", meinte Magomed I. Er selbst habe am Feuergefecht mit den georgischen Soldaten aber gar nicht teilgenommen, sondern sich vor der Schießerei abgesetzt, versicherte der 38-Jährige.
Entgegen seiner nunmehrigen Verantwortung hatte Magomed I. im Februar 2013 dem Wiener Landesamt für Verfassungsschutz gestanden, aus freien Stücken am Feuergefecht im Lopota-Tal mitgewirkt zu haben. Dabei brüstete er sich laut Einvernahmeprotokoll, es wären wesentlich mehr als drei Georgier getötet worden. Der 38-Jährige befindet sich seit April 2016 in U-Haft.
Der mutmaßliche tschetschenische Terrorist Magomed I. bekräftigte auf mehrfaches Nachfragen des vorsitzenden Richters, er habe sich an der Schießerei mit dem georgischen Militär nicht beteiligt. "Weggelaufen bin ich schon, aber geschossen habe ich nicht", gab er zu Protokoll.
Die Georgier hätten ohne Vorwarnung das Feuer eröffnet: "Ich habe gesehen, dass die versuchen mich zu töten." Er habe sich zunächst hinter einem Felsvorsprung versteckt und mitbekommen, dass andere Tschetschenen von Projektilen getroffen wurden. Als die Situation immer brenzliger wurde, sei er "in eine Schlucht gesprungen", wobei er unter Beschuss geriet und an der Hand verletzt wurde, berichtete Magomed I. Letzten Endes sei es ihm geglückt, sich abzusetzen.
Seiner Darstellung, er sei in Wahrheit ein Spion für Russland und kein tschetschenischer Terrorist, steht zumindest auf den ersten Blick die Auswertung seines Handy entgegen. Dort fand sich ein Video, auf dem der 38-Jährige unmittelbar nach dem Feuergefecht als Kommandant der tschetschenischen Kämpfer auftritt und seine Beweggründe für die vorangegangene Aktion offenlegt. In einem weiteren sichergestellten Video bedankt sich der mittlerweile getötete selbst ernannte Emir des "Emirats Kaukasus", Doku Umarow, bei "Abu Hamza" - dem Kämpfernamen des Angeklagten - für dessen Einsatz. Damit konfrontiert, erklärte Magomed I., das erste Video sei nicht ernst gemeint: "Das musste ich machen. Das ist Politik." Beim zweiten sei nicht er gemeint, die Bezeichnung "Abu Hamza" werde von etlichen Personen als Namensbegriff verwendet.
Auf die nahe liegende Frage, weshalb Vorgänge an der russisch-georgischen Grenze ein österreichisches Gericht beschäftigen, obwohl der Angeklagte kein österreichischer Staatsbürger ist, war Staatsanwalt Leopold Bien bereits zu Beginn der Verhandlung eingegangen. "Österreich kann und darf nicht akzeptieren, dass es zu einem Rückzugs- und Zufluchtsort für Terroristen wird, die hier ungeschoren und unbehelligt leben können", unterstrich der Ankläger. Die Beteiligung des Angeklagten an terroristischen Vorhaben sei "durch viele Beweismittel gesichert". Verteidiger Wolfgang Blaschitz war demgegenüber überzeugt, dass das inkriminierte Geschehen gar nicht in die Zuständigkeit eines österreichischen Gerichts fällt: "Nicht alles, was sich auf der Welt tut, ist in Österreich strafbar."
Die Zuständigkeit wäre bei Mordverdacht dann gegeben, wenn das Delikt als terroristische Straftat begangen bzw. von einer terroristischen Zielsetzung getragen wird. Für Blaschitz ist beides auszuschließen. Die Georgier hätten gezählte 17 Männer eingesetzt, um die angeblichen tschetschenischen Terroristen unschädlich zu machen. "17 Polizisten sind bei jedem österreichischen Regionalliga-Match anwesend, um Ruhe und Sicherheit herzustellen", gab Blaschitz zu bedenken. Die Fußball-Fans würden von der Exekutive auch nicht als Terroristen betrachtet.
Die Verhandlung wird am kommenden Freitag fortgesetzt. Das Urteil ist für 13. Juli geplant.