Im Landesgericht Korneuburg ist am Dienstag der Mordprozess gegen den Wiener Banker fortgesetzt worden, der am 18. September 2015 in Wien-Währing seinem um zwei Jahre jüngeren Stiefbruder Eric J. einen tödlichen Kopfschuss beigebracht hat. Der Angeklagte verantwortet sich mit fahrlässiger Tötung und macht einen tragischen Schießunfall geltend.
Als mögliches Motiv gilt Eifersucht. Der Angeklagte könnte vermutet haben, dass seine Ex-Frau, in die er nach wie vor verliebt ist, ein Verhältnis mit seinem Stiefbruder hatte. Eric J. soll der Frau - einer bei der Wiener Anklagebehörde tätigen Staatsanwältin - zumindest eine schlüpfrige Textnachricht auf ihr iPhone zukommen haben lassen. Ein EDV-Sachverständiger nahm nun zur Frage Stellung, ob der Angeklagte Gelegenheit gehabt hätte, diese Nachricht auf seinem iPhone mitzulesen.
Banker bestreitet, SMS gelesen zu haben
Obwohl sie getrennt waren, nutzten der Banker und die Staatsanwältin dieselbe Apple-ID. Sie hatten damit Zugriff auf iTunes und konnten auf ihren Geräten Musik hören. Allerdings wurden auch Anrufe zwischen den Geräten synchronisiert. Auf die Frage, ob der Angeklagte darüber hinaus Gelegenheit gehabt hätte, bei der Staatsanwältin eingehende iMessages oder SMS mitzulesen, meinte der Gutachter: "Ich würde davon ausgehen, dass er es konnte. Auch mit dem beschränkten Wissen eines Endnutzers."
Ob der Angeklagte das tatsächlich getan hatte - er bestreitet das - , konnte der Sachverständige nicht klären. Fest steht, dass es dem Banker im Tatzeitraum rein theoretisch sogar möglich gewesen wäre, über die iCloud Fotos am Smartphone seiner Ex anzusehen oder ihre Location zu tracken. Apple hat mittlerweile die Standard-Einstellungen geändert, so dass diese Funktion iPhone-Besitzern nicht mehr ohne weiteres zur Verfügung steht, wie der Gutachter mit der Bemerkung "Apple tut sich schwer, Fehler zuzugeben" erklärte.
Ballistiker und Chemiker befragt
Mit dem Ballistiker Ingo Wieser und dem Chemiker Reinhard Binder haben im Mordprozess gegen den Wiener Banker zwei weitere Sachverständige ihre Gutachten abgegeben. Sie stellten fest, dass der tödliche Schuss aus einer Entfernung zwischen 50 und 70 Zentimeter abgegeben wurde.
Der Chemiker hielt es anhand der Schmauchspuren für wahrscheinlicher, dass der Schütze dabei vor und nicht hinter der Küchentheke positioniert war. Der Angeklagte hatte sich auch dahin gehend verantwortet - er behauptet, er wäre auf einem Barhocker direkt seinem Stiefbruder Eric J. gegenüber gesessen. Die Blutspuren-Analytikerin Silke Brodbeck kam dagegen in ihrer schriftlichen Expertise zum Schluss, dass sich der Angeklagte bei der Schussabgabe auf der gegenüber liegenden Seite der Kücheninsel befunden haben muss und seine Angaben nicht stimmen können.
Beschmauchungsspuren fanden sich vor allem im Bauchbereich des T-Shirts des Schützen. Wie der Schießsachverständige Wieser erläuterte, wäre bei der Spurenlage grundsätzlich eine Distanz von 135 Zentimeter zum Opfer möglich gewesen. Von der Lage der Patronenhülse, die auf dem Sideboard rechts von der Küchentheke sichergestellt wurde, sei ein Schluss auf den Ort der Schussabgabe "nicht möglich", betonte Wieser. Brodbeck hatte in ihrer Expertise auch aufgrund der Lage der Hülse die vom Banker behauptete Unfall-Version angezweifelt.
Aussage der Blutspuren-Analytikerin
Die Blutspuren-Analytikerin Silke Brodbeck hat am zweiten Verhandlungstag im Mordprozess gegen den Banker, der seinen Stiefbruder erschossen hat, den von diesem geschilderten Tathergang angezweifelt. Die Blutspuren am Hemd des Getöteten, dessen Körper- und Kopfposition, die Blutspuren am Tisch und der Schusskanal würden gegen die Angaben des Angeklagten sprechen, so die Gutachterin.
Widerlegen konnte Brodbeck am Dienstag im Landesgericht Korneuburg die Darstellung des Angeklagten aber nicht. Sie operierte mit Hypothesen und Wahrscheinlichkeiten, wobei sie ihre Hypothese, derzufolge sich der Angeklagte bei der Schussabgabe an einer anderen als der von ihm beschriebenen Stelle befunden haben muss, für "eher wahrscheinlich" hielt. Explizit ausschließen konnte sie die vom Banker behauptete Sitzposition aber nicht.
Die Verhandlung wird am Mittwoch um 8.30 Uhr fortgesetzt.