Der Angeklagte behauptete beim heutigen Prozess am Wiener Landesgericht, die um 33 Jahre Jüngere habe ihn betrogen und ihm nach dem Leben getrachtet. Als sie mit einem Messer auf ihn losging, habe er ihr die Waffe entwunden und sich "verloren". Er habe zwar zugestochen, sie aber nicht töten wollen. Das Urteil wird nicht vor 18 Uhr erwartet.
Der Fall wurde im vergangenen September schon ein Mal von einem Schwurgericht behandelt. Damals verwarfen die Geschworenen die Anklage und erkannten auf absichtliche schwere Körperverletzung, worauf die drei Berufsrichter deren Wahrspruch wegen Irrtums aussetzten.
Opfer musste wegen technischer Panne aussagen
Eine technische Panne hat dazu geführt, dass die von ihrem Ehemann niedergestochene und lebensgefährlich verletzte 28-Jährige kurzfristig als Zeugin gegen den 61-Jährigen aussagen musste. Dabei war die Frau im Ermittlungsverfahren kontradiktorisch vernommen worden, um ihr genau das zu ersparen.
Die DVD mit ihrer kontradiktorischen Einvernahme ließ sich im Gerichtssaal allerdings nicht abspielen. Fest steht, dass sich das Speichermedium unmittelbar nach der Aufzeichnung noch gebrauchen hatte lassen. Der Rechtspraktikant jener Richterin, welche die Einvernahme durchgeführt hatte, hatte sich dessen vergewissert, wie der APA versichert wurde. Möglicherweise wurde die DVD im Zuge der anschließenden Lagerung beschädigt. Wie auch immer, um den Geschworenen einen unmittelbaren Eindruck vermitteln zu können, erklärte sich die Ehefrau nach Rücksprache mit ihrer Prozessbegleiterin zu einem persönlichen Auftritt bei Gericht bereit. Auf Betreiben ihrer Rechtsvertreterin Sonja Aziz (Kanzlei Kolbitsch Breitenecker Vana) wurde der Angeklagte jedoch vor ihrer Befragung von der Justizwache abgeführt, um die 28-Jährige nicht zusätzlich zu belasten. Zudem wurde aus Opferschutzgründen die Öffentlichkeit für die Dauer ihrer Einvernahme ausgeschlossen.
Zuvor hatten mehrere Personen ausgesagt, die der Schwerverletzten zu Hilfe gekommen waren. Einem Ehepaar, das sich am Weg zum sonntäglichen Kirchgang befand, war die am Fenster der ebenerdig gelegenen Wohnung in der Erlgasse stehende Frau aufgefallen, die dort in englischer Sprache lautstark um Hilfe rief. Sie eilten Richtung Fensterbrett, bedeuteten ihr, das Fenster zu öffnen, und mit Hilfe eines dritten Passanten hievten sie zunächst die dreijährige Tochter der Frau und danach die Mutter ins Freie.
Notoperation rettete ihr das Leben
Der Angeklagte hatte am 10. April 2016 seiner Frau in der ehelichen Wohnung in Meidling mit einem Küchenmesser acht Stiche in die Brust versetzt. Obwohl ihr Herzbeutel eröffnet wurde und auch Lunge und Leber beschädigt wurden, gelang es der 28-Jährigen, ihre dreijährige Tochter aus einer vorangegangenen Beziehung zu schnappen und mit dieser durch ein Fenster die ebenerdig gelegene Wohnung in der Erlgasse zu verlassen. Passanten kümmerten sich um die blutende Frau und alarmierten die Rettung. Eine Notoperation rettete ihr das Leben.
Sie hatte den Angeklagten 2012 in ihrer Heimat in der Türkei kennengelernt. Dieser - selbst gebürtiger Türke - war in den 1980er-Jahren mitsamt seiner Familie nach Österreich aufgebrochen, um sich ein besseres Leben aufzubauen. Er verdingte sich jahrzehntelang als Hilfsarbeiter auf Baustellen und zeugte mit seiner ersten Frau sieben Kinder. Als die Frau 2012 überraschend starb, bestattete er ihre sterblichen Überreste in der Türkei. Verwandte rieten ihm nach der Trauerfeier, sich nach einer neuen Gefährtin umzuschauen, zumal der Mann Angst vor dem Alleinsein hatte.
15 Tage später hatte man eine 28-Jährige gefunden, die vom Vater ihres kleinen Kindes verlassen worden war. Sie willigte daher aus Vernunftgründen ein, den wesentlich älteren Mann zu heiraten und nach Österreich zu begleiten.
Frau durfte keine Deutschkurse besuchen
Dort soll es nach einiger Zeit zu regelmäßigen Streitereien gekommen sein. Die Ehefrau litt ihren Angaben zufolge vor allem an den unbegründeten Unterstellungen des 61-Jährigen, zwischen ihr und einem anderen Hausbewohner würde etwas laufen. Der Ehemann soll der jungen Mutter - getragen von Eifersucht - untersagt haben, einen Deutschkurs zu besuchen und eine Arbeit anzunehmen.
Eines Tages eskalierte eine Auseinandersetzung, die sich daran entzündet hatte, weil die Frau vermeinte, der Mann habe ihr einen Zehn-Euro-Schein aus ihrer Handtasche genommen. Als sie diesen zurückhaben wollte, soll der Mann mit den Worten "Komm her, da ist das Geld!" plötzlich zugestochen haben. Danach rammte er sich selbst das Messer drei Mal in den Bauch. Diese Verletzungen fielen aber eher oberflächlich aus, während er seiner Frau Wunden mit einer Tiefe von bis zu 13 Zentimeter zugefügt hatte.
"Ich wollte nicht mehr leben", begründete er die Selbstbeschädigung nun einem Schwurgericht (Vorsitz: Ulrich Nachtlberger). Die Frau habe ihn zuvor mit dem Messer angegriffen. Schon immer habe er unter ihren Gewalttätigkeiten gelitten: "Sie hat mich so oft auf die Brust geschlagen. Ich schwöre, ich habe nicht ein Mal die Hand gegen sie gehoben." Sie habe ihn auch unentwegt beschimpft: "Sie hat mich Hund und Alter genannt. Ich weiß auf jeden Fall genau, dass meine Frau mich umbringen wollte. Ich konnte nicht schlafen. Sie wollte mich vergiften."
"Der Staat soll das aufdecken, dass sie ein Verhältnis hatten", verlangte der Angeklagte. Ein Bosnier, 40 bis 45 Jahre alt, habe direkt über ihnen gewohnt und mit seiner Frau verkehrt. "Er hat von oben Klopfzeichen gegeben. Das hat bedeutet, dass sie kommen soll. Es hat auch ständig jemand angeläutet bei der Gegensprechanlage. Er hat ihr Zeichen gegeben", behauptete der 61-Jährige.