In einer Abfalltonne unweit der Klinik Wien-Favoriten fand die Polizei am Freitag jenes Neugeborene, das seit Donnerstag vermisst wurde (wir berichteten). Die Mutter hatte Alarm geschlagen, die Exekutive daraufhin den gesamten Spitalsbereich durchsucht. Doch das Mädchen blieb verschwunden. Nun steht die Mutter selbst unter Tatverdacht – nachdem die 30-Jährige den Ermittlern bei eingehender Befragung gesagt hatte, wo ihr Kind zu finden sei.

Generelle Erklärung

In vielen Fällen wird Kindstötung durch psychische Ausnahmezustände oder Erkrankungen ausgelöst, weiß Michael Schneider, Leiter der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie 2 am LKH Graz Standort Süd: „Es kann vorkommen, dass eine Mutter in den ersten Stunden nach der Geburt in einem psychischen Ausnahmezustand ihr Kind tötet, oft vorausgehend durch ein fehlendes Wahrhaben der Schwangerschaft.“ Auslöser eines solchen Ausnahmezustands können körperlich bedingt sein, etwa durch den massiven Abfall von Hormonen und anderen Stimmungsstabilisatoren. Doch auch das Umfeld der Neo-Mutter kann wesentlich Anteil haben: „Etwa wenn eine Frau in prekären sozialen Verhältnissen lebt, von Armut betroffen ist, Missbrauch oder Misshandlungen erlebt hat, in der Kindheit vernachlässigt wurde, die Schwangerschaft negiert oder mit Drogen in Kontakt gekommen ist.“

Wahnzustände und Halluzinationen

Von der Tötung in den ersten Stunden zu unterscheiden, ist die postpartale Psychose, die während oder bald nach der Geburt oft schlagartig auftritt, mit Wahn und Halluzinationen einhergeht und zu schwerwiegenden Fehlhandlungen führt. Die Häufigkeit liegt bei 1 bis 2 Fällen auf 1000 Geburten.

Die postpartale Depression wiederum entwickelt sich im ersten Lebensjahr des Kindes und nimmt zumeist an Intensität zu. Sie führen zu Fütterungsproblemen sowie Entwicklungsstörungen als Folge einer Bindungsstörung mit mangelhafter Kommunikation mit dem Kind. Die Mutter fühlt sich häufig leer und mit ihrer neuen Rolle überfordert.

Psychiater Michael Schneider
Psychiater Michael Schneider © LKH Graz

Frauen und Männer betroffen

Zwischen Zeugung und erstem Geburtstag des Kindes durchleben 20 Prozent der Frauen und 10 Prozent der Männer psychische Erkrankungen, weiß der Psychiater. Eine Diagnose sei dabei oft der erste Schritt Richtung Heilung.