Der Mordprozess gegen einen 39-Jährigen, dessen Sohn im Sommer 2022 in der Kitzbüheler Ache in St. Johann tot aufgefunden worden war, ist am Donnerstag am Innsbrucker Landesgericht fortgesetzt worden. Dabei stand die Aussage der Ehefrau und Mutter des Buben im Fokus. Sie beschwor, von der Unschuld ihres Mannes überzeugt zu sein. Zuvor waren Befangenheitsanträge der Verteidigung gegen Geschworene und den gerichtsmedizinischen Sachverständigen Walter Rabl abgewiesen worden.

Unter Tränen umarmte die Ehefrau des Angeklagten eingangs ihrer Befragung am Nachmittag ihren Mann. Schluchzend schilderte sie, wie sie vom Tod ihres Sohnes erfahren hatte. Ihr Mann habe so etwas „Bestialisches“, wie in der Anklage vorgeworfen, keinesfalls gemacht, da sei sie sich absolut sicher, beschwor die Ehefrau des Angeklagten: „Nicht nur, weil er mein Mann ist.“ Als Veränderung danach sei ihr lediglich aufgefallen, dass ihr Mann starke „Ängste“ entwickelt habe. Scharfe Kritik übte die Frau an der Polizeiarbeit - sie habe sich von den Ermittlern nicht ernstgenommen gefühlt, außerdem sei Hinweisen wie beispielsweise zusätzlichen Videoüberwachungsaufnahmen nicht oder zu spät nachgegangen worden. Sie habe „jegliches Vertrauen“ in die Behörden verloren.

Bub hatte enorme Fortschritte gemacht

Die Frau bestätigte auf Nachfrage, dass der Buggy des Kindes frei zugänglich beim Haus gestanden sei. Eine Flasche wie jene, mit der der Angeklagte niedergeschlagen worden sein soll, habe sie nicht gesehen. Sie bestätigte Angaben des Angeklagten vom Vortag, wonach ihr Sohn im Vorfeld des Vorfalls enorme „Fortschritte“ auf mehreren Ebenen gemacht hatte, auch sei die Betreuungssituation zuletzt stabil gewesen. Wasser habe ihren Sohn angezogen, dieser habe diesbezüglich auch „kein Gefahrenbewusstsein“ gehabt. Die im Prozess erwähnte Kindergartenabsage sei „ärgerlich“ gewesen, räumte die Frau ein, das habe aber nichts mit „irgendeiner Art von Überforderung“ zu tun. Auch bestätigte sie, dass ihr Mann physische Probleme im Schulterbereich gehabt habe.

Auch auf das Thema Ohnmacht im Zusammenhang mit Feuerquallen war in der Befragung der Mutter und des Stiefvaters nochmals eingegangen worden. Hintergrund: Der Angeklagte soll laut seines Anwalts nach dem Begriff „ohnmächtig“ gesucht haben. Der Verteidiger begründete dies eben mit einer Frage seiner Tochter nach Feuerquallen. Die Mutter des Angeklagten hatte davon „wenig mitbekommen“. Auch dass in diesem Kontext über „Ohnmacht“ gesprochen worden sei, habe sie nicht wahrgenommen. Sehr wohl sei aber das Thema Quallen bei ihrer Enkeltochter - der Tochter des Angeklagten - präsent gewesen. Selbiges bestätigte der Stiefvater des Angeklagten. Dass man ohnmächtig werden könnte, sei eine „Angst“ der Enkeltochter gewesen, so der Stiefvater, der das entsprechende Gespräch mitbekommen haben wollte. Auch gab er auf Nachfrage an, dass der Angeklagte angekündigt habe, in diesem Zusammenhang zu „googeln“, und das auch getan habe.

Ermittler: „Da ist ein Fehler passiert“

Am zweiten Prozesstag gaben mehrere Polizeibeamte Einblicke in die Ermittlungen, während die Verteidiger durch Nachfragen die Ordnungsmäßigkeit ebenjener in Zweifel zogen. Ein Chefinspektor und in diesem Fall Ermittlungsleiter des LKA schilderte Versuche, in denen getestet wurde, wie die in Frage stehende Flasche zersplittern könne. Dabei sei ein „erheblicher Kraftaufwand“ nötig, man habe die Flasche dazu in den Versuchsreihen auf den Boden schlagen müssen. Zum vom Angeklagten angeblich beobachteten „Kapuzenmann“ meinte der Ermittler, dass er von Details dazu erst aus den Medien erfahren habe. Daraufhin habe er den nunmehr Angeklagten erneut befragt. Auf Vorhalt der Verteidiger, ob man diversen Hinweisen - etwa einem angeblichen Geständnis einer dritten Person - nachgegangen sei, bejahte dies der Befragte. Dass ein Überwachungsvideo der Kamera einer Supermarktkette nicht gesichert hatte werden können, bestätigte der Ermittler: „Da ist ein Fehler passiert.“

Ein Beamter des Landeskriminalamts (LKA), der die Videos gesichtet hatte, erklärte, dass auf keinem der ihm bekannten Videos ein Verfolger des Angeklagten zu sehen gewesen sei. Ein weiterer LKA-Beamter sagte zu dem in einem Mülleimer nahe des Tatorts sichergestellten Smartphone des Angeklagten aus. Nach 3.34 Uhr seien keine Schritte mehr auf dem Gerät aufgezeichnet worden, so der Beamte: „Das ist mir aufgefallen“. Der Schrittzähler habe fehlerfrei funktioniert, dies habe er auch in Versuchsreihen getestet, so der Experte auf Nachfrage der Verteidiger. Schließlich wurde jener Experte des Bundeskriminalamts (BKA) befragt, der Videos zur genaueren Sichtung technisch „optimiert“ hatte. Er habe jedoch nur die Erkennbarkeit visuell verbessert und nichts verändert.

Spitalsärztin fand keine schweren Verletzungen

Ebenfalls befragt wurde der Mann, der den 39-Jährigen aufgefunden hatte. Der Hundebesitzer gab an, den Beschuldigten gegen 4.30 Uhr früh regungslos, am Bauch liegend und mit aufgestellten Füßen entdeckt und anschließend die Rettung verständigt zu haben. Verteidiger Albert Heiss versuchte indes, Widersprüche in den Aussagen zu entdecken, indem er die Farbe der Schuhsohlen, die Position des am Boden liegenden Regenschirms oder etwa die offenbar ursprünglich angenommene Vermutung des Zeugen, dass der am Boden Liegende tot sei, ins Treffen führte.

Einer der Rettungssanitäter erzählte, dass der Angeklagte dann schnell zu Bewusstsein gekommen und rasch orientiert gewesen sei. Auf Nachfrage nach dem leeren Kinderwagen, der sich neben ihm befunden hatte, habe er dann nach seinem Sohn gefragt und gleichzeitig gemeint, dass der Bub vielleicht wegen seiner Affinität zu Wasser bei der Ache sein könnte. Weitere Rettungssanitäter schlossen sich wie auch der Notarzt größtenteils der Aussage seines Kollegen an. Der Arzt sowie die behandelnde Spitalsärztin sprachen von keinen schweren Verletzungen, die der Angeklagte von dem angeblichen Raubüberfall mitsamt Schlag mit einer Flasche auf den Hinterkopf davongetragen hatte.

Mehrere ehemalige Betreuerinnen und Betreuer des Buben gaben indes an, die Flasche, mit der der Angeklagte niedergeschlagen worden sein soll, nicht im Wagen gesehen oder dort hineingegeben zu haben. Grundsätzlich sei der Buggy immer frei zugänglich um das Haus gestanden, hieß es auf Nachfrage der Verteidiger. Mehrere Betreuerinnen bestätigten auch, dass der Bub Wasser gemocht habe. Eine Betreuerin gab an, nicht in dessen unmittelbarer Nähe spaziert zu sein, da das Kind sonst ins Wasser gewollt hätte.

„Wasser war sein absolutes Element“

„Wasser war sein absolutes Element“, bestätigte auch der Schwager des Angeklagten, der das Kind auch als Taufpate immer wieder betreut hatte. Zum Tatort beschrieb er, dort noch einige Zeit nach dem Vorfall Scherben gefunden und diese beim Landeskriminalamt abgegeben zu haben. Die Beamten hätten diese vermeintlich „lustlos“ in Empfang genommen. Bei der Befragung durch die Polizei sei ihm außerdem gesagt worden, dass positive Schilderungen zum nunmehr Angeklagten „niemanden interessieren“ würden. Im Vorfeld hatten die Verteidiger die Ermittlungsarbeit von Polizei und Staatsanwaltschaft in Zweifel gezogen.

Zwischen den Verteidigern und Richter Andreas Fleckl entspann sich zwischenzeitlich eine Diskussion über die Zulässigkeit von Fragen zum Familienleben des Angeklagten und dem gesundheitlichen Zustand des Kindes. Diese Umstände „könnten eine Basis dafür bieten, sich ein Motiv zusammenzureimen“, aber trügen nichts zur Klärung der Schuldfrage bei, so Fleckl.

Vormittag geprägt von Frage nach Befangenheit

Am Vormittag hatte zuvor indes die Frage nach der Befangenheit von Geschworenen und Rabl geklärt werden müssen. Bei dem Gespräch nach der Verhandlung am Vortag soll einer der betroffenen Geschworenen Rabl auf einen „schiefen Gürtel“ angesprochen haben, wie dieser sagte. Der Gutachter soll außerdem zu den zwei Geschworenen gemeint haben: „Na, da habt‘s einen Fall ausgefasst“. Der erfahrene Verteidiger Heiss merkte an, dass die „Optik der Befangenheit“ ausschlaggebend sei. Der Richtersenat unter dem Vorsitz von Andreas Fleckl bestellte Rabl daher ein, wobei dieser beteuerte, nicht befangen oder voreingenommen zu sein. Da nicht über den Inhalt des Verfahrens gesprochen worden war, lehnte der Richtersenat die Befangenheitsanträge letztlich ab.

Gutachter soll für Klarheit sorgen

Staatsanwalt Joachim Wüstner sah auch am zweiten Prozesstag stichhaltige Beweise gegen den Mann vorliegen. Videoaufnahmen würden etwa zeigen, dass sich im Kinderwagen eine Sektflasche befunden habe und darauf DNA-Spuren vom Kind nachweisbar gewesen seien. Es gebe zudem keine DNA-Spuren von einem etwaigen Täter am Handy oder der Kleidung des Angeklagten - somit sei dies nicht mit dem angeblichen Raubüberfall in Einklang zu bringen. Auch vor Gericht dargetane Gutachten belasteten den Angeklagten. Rabl führte etwa unter anderem aus, dass die Verletzung des Angeklagten - eine kleine Rissquetschverletzung am Hinterkopf und einige Abschürfungen im Gesicht - wohl nicht zu einer so lange andauernden Ohnmacht geführt haben dürfte. Auch für die psychiatrische Sachverständige Gabriele Wörgötter war eine lange Bewusstlosigkeit aus neurologischer Sicht nicht erklärbar, es gebe keinen „objektiven Grund“ dafür.

Nächster Verhandlungstag ist der 1. August. Der Beschuldigte muss sich neben des Verdachts des Verbrechens des Mordes auch wegen des Verdachts der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung verantworten. Ihm droht bei einer Verurteilung bis zu lebenslange Haft.