„Da rennt eine.“ Markus Konecny zeigt auf die andere Seite des Kellers. Er trägt schwarze Handschuhe und einen weißen Eimer, darin Blöcke von Giftködern. Der Schädlingsbekämpfer ist auf der Jagd nach Ratten.

Im mehrstöckigen Haus im 10. Wiener Bezirk sind die Spuren offensichtlich. Die Mülltonnen im Innenhof sind angenagt, faustgroße Löcher klaffen im Plastik. Neben dem Stiegenaufgang liegen, Erde, Gras und Steinchen auf einem Haufen, unterhalb der Mauer befindet sich eine kleine Öffnung. „Das ist nicht normal. Da haben sie sich heraus gegraben“, sagt Konency. Im Keller schlägt einem sofort der Geruch in die Nase: Modrig und beißend, vom Rattenkot. Mit dem eckigen Spezialschlüssel öffnet der Schädlingsbekämpfer eine der schwarzen Boxen, tauscht die Köder aus. Die angeknabberten Blöcke sind der nächste Beweis.

Der fehlende Überblick

In Wien gibt es immer mehr Ratten, sagen die Schädlingsbekämpfer. Die Großbaustellen um den U-Bahn-Ausbau scheuchen sie auf, an den wachsenden Müllbergen fressen sie sich satt. Schuld an den steigenden Zahlen soll auch eine Verordnung sein, seit 20 Jahren ist sie den Schädlingsbekämpfern ein Dorn im Auge. Hatten die Experten davor noch die Hoheit jedes Haus zu kontrollieren und bei Befall gleich in den Nachbarhäusern auch zu ködern, sind seit 2005 die Hauseigentümer selbst verantwortlich.

Viel zu viele Ratten machen sich in der Bundeshauptstadt breit | Viel zu viele Ratten machen sich in der Bundeshauptstadt breit
Viel zu viele Ratten machen sich in der Bundeshauptstadt breit
| Viel zu viele Ratten machen sich in der Bundeshauptstadt breit © APA/dpa-Zentralbild

In der Praxis bedeutet das: Markus Konecny kann der Ratte, die er im Keller im 10. Bezirk durch den Spalt einer Tür huschen sieht, nicht hinterher. Er ist unbefugt, weiß nicht einmal, ob ein anderer Schädlingsbekämpfer nebenan am Werk ist. Die Ursache für den Rattenbefall in Form einer offenen Müllstelle oder einem undichten Kanaldeckel könnte dort liegen und Konecny hat keine Chance, das Problem zu beheben. Zwar sind die Hauseigentümer verpflichtet, regelmäßig Kontrollen durchzuführen, doch das kontrolliert wiederum niemand, beziehungsweise muss man erst mit der Gesundheitsbehörde anrücken. „Es fehlt also der Überblick“, sagt Peter Fiedler, Berufszweigvorsitzender in der Wirtschaftskammer. 

In ganz Österreich weiß niemand, wie viele Ratten es wirklich gibt. Auch in Graz berichtet Eva Winter vom Gesundheitsamt, dass die Zahlen „gefühlt etwas steigen“. In Klagenfurt ist das nicht der Fall, heißt es. Auch wenn Österreich weit weg von New York-ähnlichen Zuständen ist, sind Ratten einmal da, bekommen sie alle vier Wochen bis zu zwölf Junge, und stellen dann „ein riesiges Problem“ dar, sagt Biologe Richard Zink von der Veterinärmedizinischen Uni Wien. Denn sie sind den Menschen relativ ähnlich, weshalb Krankheitserreger wie Leptospiren und Salmonellen leichter übertragen werden können. Eine Studie ergab 2019, dass etwa 30 Prozent der Ratten in Wien krankheitserregende Keime in sich tragen. „Es geht am Ende des Tages um die Gesundheit einer Stadt“, fasst Schädlingsbekämpfer Fiedler zusammen.

Vögel und Hamster mit vergiftet

Doch die Krux liegt im Gift. Weil die klugen Tiere einen „Vorkoster“ haben und nichts fressen, von dem der gleich umfällt, setzen Schädlingsbekämpfer auf einen schleichenden Wirkstoff, der das Blut der Nager nicht mehr gerinnen und sie nach ein paar Tagen sterben lässt. Das Problem: Die Tiere, die die Ratten fressen – etwa Marder und Steinkauz – werden mit vergiftet, weiß Zink. Davor warnt auch der Tierschutz Austria.

Die Crux liegt im Gift
Die Crux liegt im Gift © Christoph Kleinsasser

In Wien kommen noch die geschützten Feldhamster hinzu. Sie verenden ebenso an den Giftködern, immer wieder protestieren deswegen Anrainerinnen und Anrainer. Unklar ist allerdings, ob die Ratten selbst den Feldhamstern schaden. Schädlingsbekämpfer Fiedler kennt Fälle von Ratten, die Hamster „anfressen“. Damit und wie Ratten künftig bekämpft werden sollen, beschäftigt sich eine Arbeitsgruppe der Wiener Umweltanwaltschaft. Die Ziele: den Einsatz von Gift herunterschrauben, auf Prävention (also Müllvermeidung) setzen, die Menschen darauf sensibilisieren, dass sie keine Wildtiere – und damit auch Ratten – füttern und ein Monitoring schaffen. Möglich, dass sich andere Bundesländer davon dann was abschauen.

Der Feldhamster ist streng geschützt, weil vom Aussterben bedroht
Der Feldhamster ist streng geschützt, weil vom Aussterben bedroht © Gabriele Hubich

Bäckerei voller Schaben

Die Schädlingsbekämpfer betonen, sie würden Gift nur gezielt einsetzen. Wirtschaftlich gesehen seien die Ratten kein gutes Geschäft. Die Bekämpfung von Bettwanzen ist lukrativer. Gerade mit den diesjährigen Olympischen Spielen in Paris, wo letztes Jahr die Plage herrschte und mehr Reisende die Wanzen hin- und herschleppen könnten, rechnen die Bekämpfer mit vielen Aufträgen.

Was die Ratten im Haus im 10. Bezirk angeht, wird Konency wohl in einem Monat das nächste Mal Köder tauschen und kontrollieren. Ob einen Schädlingsbekämpfer eigentlich noch ab und an der Ekel packt? „Hier nicht.“ Aber Konency musste schon einmal 800 Mäuse in einem Haus fangen und Fiedler eimerweise Schaben aus einer Bäckerei tragen. „Das schockt selbst uns.“