Kinder fühlen sich in der Welt des Internets alleingelassen, wenn es um Missbrauch und Gefahren geht. Zu diesem Schluss kommt die aktuelle „Voice“-Befragung von 483 Kindern und 6618 Eltern in 15 Ländern in Europa, Südamerika und Asien, durchgeführt von den Kinderschutzorganisationen Ecpat International, Eurochild und Terre des Hommes Netherlands. In Österreich wurde dafür mit 39 Kindern im Alter von 12 bis 17 Jahren in Fokusgruppen zum Thema Sicherheit im Netz gesprochen. Die Organisationen warnen: In letzter Zeit nimmt sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen im Internet zu.

Nur im Extremfall – also wenn sie etwa schon online schwere Übergriffe erleben – sprechen Kinder mit Eltern über die Gefahren im Internet, zeigt die Befragung. Gleichzeitig glauben 90 Prozent der Eltern, dass sie über die Online-Aktivitäten ihrer Kinder Bescheid wissen. „Mangels konkreter Unterstützung verlassen sich Kinder und Jugendliche beim Surfen im Internet auf ihren Instinkt in Bezug auf Gefahren im Internet, was die Gefahr für missbräuchliche Angriffe im Netz erhöht“, erklärt die Studienleiterin des Voice-Projekts, Eva Notté von Terre des Hommes Netherlands. Und: „Es klafft eine große Lücke in der Kommunikation zwischen Kindern und ihren Betreuungspersonen”, betont Waltraud Gugerbauer, Geschäftsführerin von Ecpat Österreich.

Sorge vor Hass und Erpressung

Grundsätzlich fühlen sich die Jungen in der Lage, sich online zurechtzufinden. Sie sagen, dass sie darauf achten, was sie in den sozialen Medien posten, dass sie über Sicherheitseinstellungen Bescheid wissen und diese aktivieren, wenn sie vorhanden sind. 47 Prozent der Befragten fühlen sich im Internet sicher, nur zehn Prozent tun das nicht. Allerdings zeigen sich die Befragten durchwegs besorgt darüber, dass sie online unangemessenen Inhalten wie extremen Schönheitsidealen ausgesetzt sind. Dass sie „gehatet“ werden, dass ihre Bilder ungefragt verwendet werden, dass fremde Personen mit bösen Absichten sie anschreiben, dass sie manipuliert werden, Bilder von sich zu schicken und dann erpresst zu werden (Stichwort Sextortion), wie Elisabeth Schaffelhofer-Garcia Marquez, Koordinatorin des Netzwerks Kinderrechte, erzählt. Sie hat die Kinder in Österreich befragt.

Soziale Medien und Sicherheit passt für die Kinder und Jugendlichen nicht zusammen, sagen sie, das würden sie akzeptieren müssen. „Was sie dazu veranlasst, Risiken als unvermeidlichen Aspekt der Online-Nutzung hinzunehmen und zu normalisieren“, heißt es von den Leiterinnen der Umfrage.

Was gefordert wird

Genau darin besteht die große Gefahr: Die Risiken im Netz dürften nicht verharmlost werden, weder von Kindern noch von Erwachsenen, sagt Gugerbauer. Zuletzt hieß es auch von Stopline, der österreichische Meldestelle für sexuelle Missbrauchsdarstellungen Minderjähriger, dass von Jänner bis März dieses Jahres mehr als 7000 Meldungen eingegangen sind – das sind mehr als die Hälfte der gesamten Meldungen im Jahr 2023 (10.828 Meldungen). Global wiederum habe die Internet Watch Foundation einen „noch nie da gewesenen Anstieg“ von Websites gemeldet, die eine Manipulation von Kindern unter zehn Jahren zu sexuellen Handlungen zeigen.

Die Kinder wünschen sich Maßnahmen zur Online-Sicherheit, das hat sich bei der Befragung gezeigt. Allerdings sollen es Maßnahmen sein, die ihre Privatsphäre schützen und gleichzeitig nicht gefährden, wie etwa optionale Sicherheitseinstellungen, Tools zur Altersüberprüfung oder Pop-up-Warnungen. Die Jungen wollen selbst entscheiden. Sowohl die Jungen als auch die Eltern wünschen sich auch mehr Unterstützung von Schulen, Plattformen und Politik: zum Beispiel Bildungsprogramme und mehr Sensibilisierung. Von den Eltern glauben nur 48 Prozent, dass die Maßnahmen zum Schutz ausreichend sind. Die Organisationen hinter der Befragung sehen auch die Regierungen in der Pflicht.

Was Eltern, Lehrkräfte oder Trainer tun können: Schaffelhofer-Garcia Marquez rät: „Reden Sie mit Kindern. Zeigen Sie Interesse.“ Viel zu selten werde Kindern in Österreich zugehört, es sei die Aufgabe der Erwachsenen, das zu tun und für die Jungen da zu sein.