„Hast das Zahnbürstel und das Nachthemd mit?“ Und schon war Eva Falkner bei Ute Karin Höllrigl eingezogen. Nur einen Anruf und eine Probenacht hat es gebraucht. Jetzt leben die beiden seit eineinhalb Jahren in Höllrigls schmucker Altbauwohnung im dritten Wiener Bezirk. Die 85-jährige Tiefenpsychologin und die 28-jährige Gesangspädagogik-Studentin. Die eine war auf mühsamer Wohnungssuche und am Hin- und Her-Pendeln von Oberösterreich nach Wien. Und die andere fand, dass ihre Wohnung „so leer“ ist. 

Eva Falkner studiert Gesangspädagogik
Eva Falkner studiert Gesangspädagogik © Aufreiter Georg

Dass sie die Studentin gleich einlud, war „eine Liebeserklärung an die Eva, die ich noch nicht gekannt habe“. Höllrigl schaut ihre Mitbewohnerin liebevoll an. Nur einen Tag vor Falkners Anruf hat ihre Enkelin sie auf der Plattform „Wohnbuddy“ angemeldet. Als Falkner ihr von ihrer täglichen fünfstündigen Pendel-Odyssee erzählte, zögerte die 85-Jährige nicht. 

Weniger Kosten, mehr Gemeinschaft

Während die Regierung mit dem neuen Wohnbaupaket höhere Leerstandsabgaben und mehr sozialen Wohnbau forciert, verbinden Plattformen wie „Wohnbuddy“ ältere mit jüngeren Menschen. Eine Reaktion auf die Wohnkrise. Leistbarer Raum ist Mangelware. Mehr als jeder fünfte Haushalt sieht Wohnkosten als „schwere Belastung“, so Statistik Austria.

Falkner zahlt jetzt 400 Euro. Neben dem Studium arbeitet sie geringfügig bei der Alpenvereinslandesjugend. Die Oberösterreicherin kommt aus einer ländlichen Gegend, ist mit drei Geschwistern groß geworden. „Oft war ich das Taxi für meine Schwester. Bei uns daheim war es immer sehr wuselig.“ Dementsprechend „praktikabel“ beschreibt die 28-Jährige ihren Wohnstil. In der WG trifft sie auf Höllrigls „ästhetische Ordnung“. 30 Jahre wohnt die 85-Jährige schon in der Wohnung. Da sollten die Blumen - zurzeit violett und orange - farblich zu den Möbeln passen. Höllrigls Bücher - manche selbst geschrieben - haben ihren fixen Platz. Das Kasterl, in dem Falkner Noten aufbewahrt, steht nur im Wohnzimmer, wenn Höllrigl nicht da ist. Der älteren Dame ist das Zimmer sonst zu „angestellt“.

Das Noten-Kasterl der Studentin
Das Noten-Kasterl der Studentin © KLZ/Georg Aufreiter

Falkners Klavier gefällt ihr aber. Höllrigl liebt es, die Studentin singen zu hören. Obwohl die lieber probt, wenn ihre Mitbewohnerin unterwegs ist, auf Seminaren oder Vorträgen. Manchmal macht sie ihr aber die Freude und stimmt „Locus Iste“ von Bruckner an. Höllrigl sitzt dann auf ihrer Bank, schaut verzückt und lauscht. „Wunderbar“, sagt die gebürtige Grazerin.

Wenn Falkner singt, sitzt Höllrigl auf der Bank und lauscht
Wenn Falkner singt, sitzt Höllrigl auf der Bank und lauscht © KLZ/Georg Aufreiter

Wege aus der Wohnkrise

Etwa 500 Menschen hat Wohnbuddy in sieben Jahren zusammengebracht, weiß Marlene Welzl von der Initiative. Es gibt mehr Bedarf, aber die Ressourcen sind knapp.

Doch es braucht neue Wohnformen, in Zeiten der Teuerung und angesichts einer Bevölkerung, die immer älter wird und mit Einsamkeit kämpft. Davon sind Yvonne Franz vom Institut für Geografie und Regionalforschung der Uni Wien und Michael Obrist, Professor für Wohnbau und Entwerfen an der TU Wien und Partner bei feld72 Architekten, überzeugt. „Viele der Wohnungsgrundrisse entsprechen nicht mehr den Wohnweisen von heute, sie sind auf die typische Familie angelegt“, sagt Obrist. Es brauche, nutzungsneutralere Wohnflächen mit gleichförmigen Räumen, die mehr Möglichkeiten beinhalten.

In der Küche arbeiten und essen die beiden
In der Küche arbeiten und essen die beiden © KLZ/Georg Aufreiter

Zugleich müsse man bestehenden Raum besser nutzen – Stichwort Bodenversiegelung. „Die Ressource Grund und Boden ist endlich, wir müssen über Wohnraumverdichtung und effizientere Raumnutzung nicht nur diskutieren, sondern ins Handeln kommen“, sagt Franz. Alleinlebende über 60-Jährige leben laut Statistik Austria auf 85 Quadratmeter im Schnitt.

Gerade Menschen in Städten ohne Zugang zu sozialem Wohnbau, betrifft die Wohnkrise: Menschen mit Migrationsbiografie, Studierende, Alleinerziehende oder Ältere mit begrenztem Einkommen. „Wir dürfen diese Menschen nicht außer Acht lassen, Bundesländer, Bund und Kommunen müssen besser kooperieren“, fordert Franz. Auch was Umnutzung angeht, sind Anreize und Förderungen gefragt, meint Obrist. Initiativen wie Wohnbuddy zeigen Innovationsmöglichkeiten, „aus ihnen kann die Politik lernen und treffsichere Maßnahmen ableiten“, betont Franz.

Nach 30 Jahren hat Höllrigl eine fremde Person einziehen lassen
Nach 30 Jahren hat Höllrigl eine fremde Person einziehen lassen © KLZ/Georg Aufreiter

Wer den Geschirrspüler ausräumt

Falkner und Höllrigl wünschen sich weitere Mehrgenerationen-Wohnmöglichkeiten, in Städten und am Land. Auch wenn es nicht immer einfach ist, sich auf den anderen einzulassen, sie lernen voneinander: Falkner hat sich abgeschaut, jede Mahlzeit in Ruhe zu genießen. Die Gelassenheit der Studentin vor Terminen hat dafür zu einem Stück auf Höllrigl abgefärbt. Die Jüngere erleichtert der Älteren gern den Alltag. Sie räumt die untere Lade des Geschirrspülers aus oder stellt Höllrigl die Koffer vor den Lift, wenn sie verreist. Falkner glaubt: „Wenn wir mehr solche Wohnformen hätten, könnten wir als Gesellschaft wieder mehr in ein zusammenhaltendes ‚Wir‘-Denken kommen.“