Ist die „Letzte Generation“ eine kriminelle Vereinigung? Das ermittelt nun die Staatsanwaltschaft Wien. Mit der Begründung, dass bei Protestaktionen Autobahnen und Verkehrsknotenpunkte als Teile der kritischen Infrastruktur schwer beschädigt worden seien, erklärt Sprecherin Judith Ziska. Denn die Aktivistinnen und Aktivisten hätten sich mit einer Sand-Kleber-Mischung festgeklebt. Die Polizei hätte sie mit schwerem Gerät herausschneiden müssen - mitsamt Teilen des Bodens.

Gegen wie viele Personen konkret ermittelt wird, ist noch unklar. Laut Staatsanwaltschaft sind es jene, die sich seit 20. November mit der Klebe-Mischung befestigt haben. Die Letzte Generation spricht von bis zu 23 Personen, darunter auch die bekannte Aktivistin Anja Windl. In den Ermittlungen sieht die Gruppe - und auch Windls Anwalt - eine „Kriminalisierung friedlicher Proteste“. Die Sand-Kleber-Mischung ließe sich mit Nagellackentferner oder Speiseöl lösen: „Es dauert länger, aber es geht“, sagt Sprecherin Marina Hagen-Canaval. Im Innenministerium kann man diese Darstellung nicht nachvollziehen. Es habe sich um eine betonartige Masse gehandelt, die nicht einfach aufzulösen sei. Deshalb habe man, wie auch die Beamtinnen und Beamte in Deutschland bei Demonstrationen der Bewegung, zu dem schwerem Gerät greifen müssen.

Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) zeigte sich angesichts der Ermittlungen nicht überrascht. Der Umstand, dass die Direktion für Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) die Gruppierung beobachtet, habe anfangs für Kritik gesorgt. „Offensichtlich sind nun auch andere zur Erkenntnis gekommen, dass es radikale Klimaaktivisten gibt“. Die DSN hatte die Letzte Generation erst im Oktober als ungefährlich eingestuft. 

Mafia-Paragraf „überhaupt nicht geeignet“

Dass gegen sie nun wegen des Verdachts auf Bildung einer kriminellen Vereinigung (Paragraf 278 StGB) ermittelt wird, halten zahlreiche Rechtsexperten jedoch für unzulässig. Der Paragraf sei in diesem Fall „überhaupt nicht geeignet“, sagt Christoph Bezemek, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz. Auch als „Mafiaparagraf“ bekannt, richte er sich gegen organisiertes Verbrechen und Bandenkriminalität mit „mafiösen Strukturen“. Bei der Letzten Generation werde man damit nicht weit kommen, vermutet Bezemek. Zumal auch das Ziel der Gruppe nicht sei, Sachen zu beschädigen, sondern im öffentlichen Raum auf Klimaanliegen aufmerksam zu machen. „Und das ist wiederum verfassungsrechtlich geschützt“, sagt Bezemek. Er räumt ein, dass die Mittel der Letzten Generation „fragwürdig sein mögen“ und man dagegen mit dem einfachen Tatbestand der Sachbeschädigung strafrechtlich vorgehen könnte. Aber: „Ich glaube nicht, dass man die Letzte Generation mit dem Paragrafen der kriminellen Vereinigung kriminalisieren muss und kann.“ Auch bei Tierschützern habe die Staatsanwaltschaft es in der Vergangenheit mit dem Paragraphen versucht - ohne Erfolg.

Die ÖVP liebäugelt ihrerseits bereits seit Monaten mit möglichen Strafverschärfungen für das Vorgehen gegen die Aktivisten. Schon im Mai hatte man dem vom grünen Koalitionspartner geführten Justizministerium einen Entwurf für eine Novelle des Versammlungsgesetzes übermittelt. Darin ist unter anderem vorgesehen, dass die Behinderung eines Einsatzfahrzeuges eine gerichtlich strafbare Handlung wird. Auf Nachfrage zeigt man sich davon im Ministerium unbeeindruckt, Verwaltungs- sowie Strafrecht würden ausreichend Möglichkeiten bieten, um gegen Fehlverhalten vorzugehen, hießt es dort.