20.000 Menschen in Österreich haben kein Obdach, mehr als die Hälfte – 60 Prozent – leben in Wien. Erschreckend hoch ist der Anteil der wohnungslosen jungen Menschen in der Bundeshauptstadt. Ein Drittel – das sind 4000 Menschen – sind unter 30 Jahre alt. Das ist allerdings nur die Zahl jener Betroffenen, die von der Wiener Wohnungslosenhilfe unterstützt werden. Die Dunkelziffer sei um ein Vielfaches höher, berichtete der Verband am Donnerstag bei einer Pressekonferenz.
Gründe für Obdachlosigkeit sind vielfältig
„Das sind alarmierende Zahlen, die uns aufschrecken sollten“, sagte Roland Skowronek, Geschäftsleiter der Heilsarmee. Jedes Jahr präsentiert der Verband Wiener Wohnungslosenhilfe, zu dem elf Trägerorganisationen gehören, seinen Bericht. Heuer wurde der Fokus auf junge Obdachlose gelegt. Zwar seien die Angebote der Stadt Wien und des Fonds Soziales Wien vorbildlich. „Dennoch gibt es Versorgungslücken“, sagte Skowronek. „Wenn wir junge Menschen in Krisensituationen nicht verlieren und ihnen einen Weg aus der Wohnungslosigkeit bieten wollen, so müssen wir sie dort abholen, wo sie stehen und nicht versuchen, sie in Angeboten zu pressen, die für sie nicht geeignet sind“, meinte auch Andreas Gampert, stellvertretender Geschäftsführer der Diakonie Flüchtlingsdienst und Diakonie Eine Welt Sozialdienst.
Oft würde bis zum Anlaufen der Hilfe zu viel Zeit vergehen oder die Unterstützung nicht passend sein, sagte Gampert. „Da kommt es dann zu Brüchen“, eine Kontinuität in der Betreuung sei dann sehr wichtig, um diese Menschen nicht zu verlieren. Es brauche daher eine Gesamtstrategie, die einen niederschwelligen Zugang, eine kontinuierliche, nachgehende Beziehungsarbeit, aber auch Unterstützung beim Erlernen von Alltagskompetenzen ermöglicht. Wichtig seien auch ein stabilisierendes Wohnungsangebot sowie Raum und Zeit für Persönlichkeits- und Perspektiventwicklungen. Aber es sollte auch stets die Möglichkeit geben, beim Scheitern wieder zurückkehren zu können.
Die Gründe für die Obdachlosigkeit sind bei den Jungen oft fehlende finanzielle Möglichkeiten oder soziale Unterstützungsnetze sowie mangelnde Erwerbstätigkeit oder die schwierige Suche nach leistbarem adäquaten Wohnraum. Besonderes Augenmerk sollte auf sogenannte „Care Leaver“ gelegt werden, das sind jene jungen Menschen, die mit dem Erreichen ihrer Volljährigkeit ihren bisherigen Anspruch auf Kinder- und Jugendhilfe verlieren und oft in prekäre Wohnsituationen oder in die Obdachlosigkeit entlassen werden. Normalerweise ziehen junge Erwachsene in Österreich im Alter von 25 Jahren bei den Eltern aus. „Care Leaver“ müssen diese Hürde viel früher nehmen, in der Regel im Alter von 18 Jahren. „Von einem Tag auf den anderen müssen sie einen Alltag meistern, für den sie kaum oder unzureichend vorbereitet wurden“, sagte Skowronek. „Die jungen Menschen werden ins kalte Wasser geworfen, aber niemand hat ihnen das Schwimmen beigebracht.“
Lösungen werden gefordert
Viele haben Schwierigkeiten, Anträge selbst zu stellen oder eine eigene Wohnung zu suchen. Es fehle ihnen an ausreichend Begleitung bei der Bewältigung dieser Alltagsprobleme. Es besteht zwar seit Kurzem die Möglichkeit, diesbezüglich Beratungsstunden in Anspruch zu nehmen. Vorgesehen sind bis zu 45 Beratungsstunden zwischen dem 18. und 24. Lebensjahr. „Das kann aber nur der Anfang sein. Es braucht mehr als 37 Beratungsstunden im Monat, um ‚Care Leavern‘ das Leben zu erklären“, sagte Skowronek. Problematisch ist auch der Wohnungsmarkt in Wien, der „zu wenig Rücksicht auf die Lebenslagen junger Erwachsener“ nehme, so Elisabeth Hammer, Geschäftsführerin vom Neunerhaus. „Auch Wohnungen, die gefördert sind oder als leistbar gelten, können unerschwinglich sein, wenn man gerade erste Erfahrungen am Arbeitsmarkt macht, in Ausbildung ist oder mit wenig familiärer Unterstützung auskommen muss.“ Oft würden Betroffene eine „prekäre Route mit Risikofaktoren“ nehmen, betonte auch Gampert. Vor allem Frauen nehmen Gewaltbeziehungen in Kauf, nur um nicht auf der Straße zu landen.
Der Verband forderte daher ein Gesamtkonzept, das alle Bedarfslagen junger Erwachsener in multiplen Krisensituationen einbezieht und eine enge Zusammenarbeit von Wohnungslosenhilfe, Sucht- und Drogenkoordination, Kinder- und Jugendhilfe und Organisationen aus dem Bereich Gesundheit und Arbeitsmarktintegration bietet. Zudem sollte der Rechtsanspruch für „Care Leaver“ auf Unterstützung sowie die Möglichkeit einer Wiederaufnahme der Betreuung bis zum 24. Lebensjahr erweitert werden. Auch wenn Wien ein großes Potenzial an verfügbaren Wohnungen hat, sollte das auch für wohnungslose junge Erwachsene genutzt werden.
Der Verband Wiener Wohnungslosenhilfe ist eine Kooperation aus den Mitgliedsorganisationen Arge Wien, Caritas der Erzdiözese Wien, Diakonie, Heilsarmee, Neunerhaus, Samariterbund Wien, St. Elisabeth-Stiftung, Volkshilfe Wien, Wiener Hilfswerk, Wiener Rotes Kreuz und Wobes.